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Der Minister des Inneren über die innenpolitischen Reformen (Mai 1915)

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Nun liegt es auf der Hand, daß man nicht die Gewerkschaften schlechthin von den Bestimmungen des Vereinsgesetzes eximieren kann. Es geht das nicht, weil der Begriff der Gewerkschaft oder des Berufsvereins schwer zu formulieren ist und weil man, wenn man die Gewerkschaften einschränkungslos eximierte, die Möglichkeit schaffen würde, politische Ziele aller Art in der Form der Gewerkschaften zu verfolgen. Man wird auch, selbst wenn man den Sprachenparagraphen für reformbedürftig ansieht, nicht vollständig auf die Möglichkeit verzichten können, die polnische, die dänische und die französische Sprache in denjenigen Fällen zu verbieten, in denen sie gepflegt und angewendet wird, in der ausgesprochenen Absicht, staatsfeindliche Ziele zu fördern. Bei dieser Sachlage bieten sich zwei Wege. Man könnte versuchen, das Vereinsgesetz dahin abzuändern, daß seine Anwendbarkeit auf Gewerkschaften insoweit und solange ausdrücklich ausgeschlossen wird, als sich die Gewerkschaften auf den Aufgabenkreis des §152 der Gewerbeordnung und die damit unmittelbar zusammenhängenden wirtschaftspolitischen Fragen beschränken. Damit würde man zweifellos die Bewegungsfreiheit der Gewerkschaften in etwas erweitern. Der Streit, ob die gezogenen Grenzen innegehalten werden, wird aber damit nicht aus der Welt geschafft. Der zweite Weg wäre der, daß man die Rechtsverhältnisse der Berufsvereine gesetzlich regelt und alle diejenigen Vereine, die nach diesem Gesetz organisiert sind, von der Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes befreit. Diese Lösung der Frage ist indessen nicht ohne Bedenken, weil den Gewerkschaften an einer gesetzlichen Regelung der Rechtsverhältnisse der Berufsvereine nur dann gelegen ist, wenn diese Regelung in liberalem Sinne erfolgt und gleichzeitig mindestens die Ansätze zu einer Regelung des Tarifrechtes und zur Schaffung von Schiedsinstanzen zur Beilegung gewerblicher Streitigkeiten, die sich aus dem Arbeitsverhältnisse ergehen, vorsieht. Ein solches Gesetz bis zum Friedensschluß fertigzustellen, wird nicht ganz leicht sein und seine Verabschiedung im Reichstage nur mit großen Schwierigkeiten möglich sein.

Die Wünsche der Polen und Dänen richten sich in erster Linie gegen den § 17 und den § 12 des Vereinsgesetzes. Sie verlangen zunächst die Beseitigung des § 17, würden sich aber wohl mit einer Regelung begnügen, die solchen Vereinen Jugendlicher die Existenzberechtigung gibt, die sich lediglich auf die Pflege der polnischen Sprache – Poesie und Kunst – beschränken. Vor allen Dingen richten sich aber ihre Wünsche auf die Beseitigung des § 12, der in seiner jetzigen Fassung und seiner bisherigen Anwendung zweifellos zu Härten Veranlassung gegeben hat. Diese Härten liegen aber auch wieder weniger im Gesetz, als in der Art seiner Anwendung. Wenn die Behörden der Bundesstaaten, insbesondere Preußens, sich entschließen würden, den Paragraphen milder anzuwenden, wenn Preußen sich entschließen könnte, von den Vollmachten im letzten Absatz des § 12 Gebrauch zu machen und durch Landesgesetzgebung ein etwas freieres Recht zu schaffen, so würde man wohl um eine Abänderung des § 12 hinwegkommen können. Freilich wird der gute Wille Preußens, eine solche mildere Praxis, selbst wenn sie jetzt in Aussicht gestellt wird, aufrecht zu erhalten, stark bezweifelt werden. Auch wird man in die Dauerhaftigkeit einer freieren preußischen Gesetzgebung wenig Vertrauen setzen. Es muß auch anerkannt werden, daß die jetzige Fassung des § 12 nicht glücklich ist. Wenn man berücksichtigt, daß es während des Krieges nicht möglich war, in einer öffentlichen Versammlung Vorträge über die Volksernährung in polnischer Sprache zu halten, während andererseits der Gebrauch der polnischen Sprache in Wahlversammlungen zulässig ist, so wird man zugeben müssen, daß dieser Paragraph verbesserungsbedürftig ist.

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