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Österreichische Denkschrift (1863)

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II. Österreichs Reorganisationsvorschläge können nur auf dem mit voller Klarheit und Entschiedenheit festgehaltenen Föderativprincip beruhen.

Manches hat sich in Europa seit 1815 verändert, aber heute wie damals bietet die durch die Auflösung des deutschen Reiches zur Nothwendigkeit gewordene, durch die europäischen Verträge sanctionirte Bestimmung, daß die deutschen Staaten unabhängig und durch ein Föderativband vereinigt sein werden, die einzig mögliche Grundlage für die politische Verfassung Deutschlands dar. Man kann dieser Wahrheit nicht direct oder indirect entgegen handeln, ohne den festen Boden der Wirklichkeit zu verlieren. Man kann nicht von idealen Forderungen oder von Doctrinen, die einem specifischen Interesse künstlich angepaßt sind, den Maßstab für das Reformwerk entnehmen, ohne die Gegenwart einer ungewissen und von den augenscheinlichsten Gefahren umringten Zukunft zu opfern. Eine dem Bundesprincip entgegengesetzte Richtung kann man in Deutschlands gemeinsamen Angelegenheiten nicht einschlagen, ohne bei jedem Schritte auf Warnungszeichen zu stoßen und am Ende des Wegs an einem Abgrunde anzukommen. Monarchische Staaten, zwei Großmächte unter ihnen, bilden den deutschen Staatenverein. Einrichtungen, wie eine einheitliche Spitze oder ein aus directen Volkswahlen hervorgehendes Parlament, passen nicht für diesen Verein; sie widerstreben seiner Natur, und wer sie verlangt, will nur dem Namen nach den Bund, oder das, was man den Bundesstaat genannt hat; in Wahrheit will er das allmähliche Erlöschen der Lebenskraft der Einzelstaaten; er will einen Zustand des Übergangs zu einer künftigen Unification; er will die Spaltung Deutschlands, ohne welche dieser Übergang sich nicht vollziehen kann. Solche Einrichtungen wird Österreich nicht vorschlagen. Wohl aber hält es den Augenblick für gekommen, wo die Sorge für das Wohl Deutschlands gebieterisch verlangt, daß die Grundlagen, auf welchen der Bund ursprünglich errichtet wurde, verstärkt und das Föderativprincip gegenüber der schon dem Begriffe nach durch dasselbe beschränkten Souveränetät der Einzelstaaten mit erhöhter Kraft und Wirksamkeit ausgestattet werde. Der deutsche Bund ist als ein Bund der Fürsten geschlossen; er ist aber auch ausdrücklich als das an die Stelle des vormaligen Reiches getretene Nationalband der Deutschen anerkannt, und er wird sich künftig, um den Bedürfnissen unserer Epoche zu entsprechen, mit Nothwendigkeit schon durch den Charakter seiner Verfassungsformen der Welt als ein Bund der deutschen Staaten als solcher, der Fürsten wie der Völker darstellen müssen. Der Kaiser erblickt daher in der Kräftigung der Executivgewalt des Bundes und in der Berufung der constitutionellen Körperschaften der Einzelstaaten zur Theilnahme an der Bundesgesetzgebung zwei in gleichem Grade unabweisbare und sich zugleich gegenseitig bedingende Aufgaben. Dieser Überzeugung hat die Regierung des Kaisers schon durch die Note an den Grafen v. Bernstorff vom 2. Februar 1862, dann wieder durch die oben erwähnte Erklärung in der Bundestagssitzung vom 22. Januar des gegenwärtigen Jahres Ausdruck verliehen.

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