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DDR Wirtschaftsminister Günter Mittag erklärt das Scheitern der Planwirtschaft (1991)

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Da es als unumstößliches Axiom galt, daß der Lebensstandard steigen müsse, wurden zur Überbrückung auftretender Versorgungsengpässe Kredite aufgenommen. Mit den dafür gekauften Waren wurde zugleich das Anspruchsniveau erhöht. Zum großen Teil verkaufte man diese Waren zu den gleichen niedrigen und weitgehend gestützten Preisen wie DDR-Waren. Das geschah unter dem Begriff „Grundbedarf“. Waren ursprünglich im wesentlichen die Grundnahrungsmittel damit gemeint, fielen mehr und mehr Erzeugnisse unter diesen Begriff, bis er zuletzt so ziemlich alles, was verkauft wurde, erfaßte. Selbst die PKW wurden teilweise subventioniert, obwohl sich unter der Hand ein ganz anderes Preisniveau herausbildete.

Durch die ständige Betonung, daß die Preise für Waren des Grundbedarfs, daß die Energietarife und Mieten stabil bleiben müssen – dieser Grundsatz war in den Beschlüssen des ZK verankert –, war es prinzipiell nicht möglich, die wirklichen Kosten in den Einzelhandelsverkaufspreisen sichtbar zu machen. Da die Versorgung selbst, gemessen an den wachsenden Ansprüchen, nicht wesentlich besser wurde, engte sich die Politik der Hauptaufgabe faktisch auf das starre Festhalten an nahezu allen Einzelhandelspreisen für jede beliebige Ware ein.

Damit verlor diese im Ansatz durchaus richtige Politik jede Dynamik. Sie löste sich immer mehr von der Leistungsentwicklung und engte auch die Wirkung des Leistungsprinzips ein. Sie förderte ein unberechtigtes Anspruchsdenken. Das war psychologisch sehr negativ. Den Klagen über Mängel im Warenangebot wurde mit dem Argument der „zweiten Lohntüte“ begegnet. Sie enthielt die im Durchschnitt pro Kopf an Hand des Warenverbrauchs errechnete und anfallende Summe der Subventionen. Das jedoch wirkte nicht beim Einkauf, wenn der Werktätige versuchte, seinen erarbeiteten Lohn zu realisieren und dabei auf Warenmangel stieß, sondern taugte im besten Falle als Argument auf Versammlungen.

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Erforderlich und möglich gewesen wäre jedoch spätestens zum Zeitpunkt der achtziger Jahre, als sich die Belastungen akkumulierten, eine scharfe Wende im gesellschaftlichen Verbrauch. Das betrifft die Reduzierung übertriebener Aufwendungen für Verteidigung und Sicherheit, aber auch für gesellschaftliche Bauten sowie die Verminderung der Staatskosten. Hier ist nicht schnell und nicht durchgreifend genug reagiert worden. Diese Fragen hätten prinzipieller gestellt werden müssen. Von dieser Verantwortung nehme ich mich nicht aus.

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Quelle: Günter Mittag, Um jeden Preis. Im Spannungsfeld zweier Systeme. Berlin, 1991, S. 58-64.

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