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Die Mangelwirtschaft in Ostdeutschland erschwert die Weihnachtseinkäufe (21. Dezember 1980)

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Warten auf den „Sonderverkauf“

Praktisch müssen die DDR-Bürger immer auf dem Sprung sein, wenn sie an besondere oder gerade knappe Waren herankommen wollen, und auch das nutzt nicht immer etwas, wie ein anderes Beispiel aus dem „Eulenspiegel“ zeigt: Im Erfurter Centrum-Warenhaus bildete sich ohne erkennbaren Grund eine Menschenschlange vor einem leeren Stand, an dem es wiederholt Geschirr gab. Die Schlange wurde immer länger, obwohl niemand wußte, ob und was verkauft wird, denn das Personal gab keine Auskunft. Als endlich Kartons herangetragen wurden und der „Sonderverkauf“ begann, erfuhren die Wartenden, warum sie überhaupt angestanden hatten: In den Packungen war ein großer Glasteller mit sechs kleinen Kuchentellern – Import aus Ungarn. Wer keine Kuchenteller gebrauchen konnte, hatte umsonst angestanden.

DDR-Bürger können über Dutzende solcher Einkaufserlebnisse berichten, die natürlich böses Blut schaffen. Insbesondere die Berufstätigen beschweren sich darüber, daß sie beim Einkaufen benachteiligt sind und „Sonderverkäufe“ häufig während der Arbeitszeit stattfinden und danach „nichts Vernünftiges“ zu bekommen ist. In verschiedenen Großbetrieben soll es deshalb wiederholt zu Protesten gekommen sein. Nach Berichten aus Rostock sollen sich dort Ende November Hafenarbeiter sogar geweigert haben, Lebensmittel nach Polen zu verladen. Offenbar um die Arbeiter zu beruhigen, sind in den letzten Wochen über die Betriebsverkaufsstellen im großen Umfang „Sonderverkäufe“ zum Weihnachtsfest abgewickelt worden.

Kritik an den hohen Exporten

Angesichts der Versorgungslücken, die es nach Angaben von DDR-Bürgern bei Taschentüchern und Herrensocken ebenso gibt, wie bei Handtüchern, Unterwäsche, Bettwäsche, Oberbekleidung, Geschirr, auch bei hochwertigen Industrieerzeugnissen und sogar bei Pfefferkuchen, Schokoladenweihnachtsmännern und wie im Vorjahr bei Kerzen – wird in der DDR-Bevölkerung immer wieder Kritik an den hohen Exporten laut. Die Medien sind darauf in jüngster Zeit wiederholt eingegangen und haben betont, daß die Versorgung nicht durch eine Drosselung der Exporte verbessert werden könne. Es müsse noch mehr exportiert werden, um dringend benötigte Rohstofflieferungen, bestimmte Nahrungs- und Genußmittel sowie andere Güter, die in der DDR nicht hergestellt werden könnten, bezahlen zu können.

In der Tat kann die DDR das Versorgungsproblem nicht durch Exporteinschränkungen lösen. Vielmehr müssen weit mehr und bessere Waren sowohl für den Export als auch für den eigenen Markt unter strenger Beachtung des Bedarfs produziert werden. Der Volkswirtschaftsplan 1981, den die Volkskammer am Mittwoch verabschiedet hat, sieht denn auch beachtliche Wachstumsraten vor. So soll die industrielle Warenproduktion um fast sechs Prozent steigen, für einige Industriebetriebe und Warengruppen sind zweistellige Zuwachsraten vorgesehen. Der Plan stellt außerdem die Aufgabe, das Angebot „in allen Preisgruppen zu sichern“, um dem Bedarf der Bevölkerung besser zu entsprechen. Freilich ist die DDR trotz aller Anstrengungen von einer wirklich „bedarfsgerechten“ Versorgung noch weit entfernt.



Quelle: Michael Mara, „Weihnachtseinkäufe in der DDR“, Tagesspiegel, 21. Dezember 1980.

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