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Die Mangelwirtschaft in Ostdeutschland erschwert die Weihnachtseinkäufe (21. Dezember 1980)

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Forderungen des Politbüros

Für die Forderung des Politbüros an die Betriebe, „bedarfsgerechter“ zu produzieren, gibt es ernste Gründe. Denn obwohl der Volkswirtschaftsplan dieses Jahr erfüllt und die vorgesehene Warenproduktion wertmäßig erreicht wurde, hat eine Anzahl Betriebe bei bestimmten, oft besonders gefragten Sortimenten Lieferrückstände. So kamen Anfang Dezember in Magdeburg auf zehn Betriebe Lieferschulden in Höhe von über fünf Millionen Mark, während im Bezirk Dresden Waren im Gesamtwert von 25 Millionen Mark nicht vertragsgemäß an den Handel geliefert wurden.

In den anderen Bezirken ist die Lage ähnlich. Zwar stehen den ausgebliebenen Waren „Vorauslieferungen“ anderer Erzeugnisse gegenüber. Sie können jedoch, wie die „Sächsische Zeitung“ klarstellte, die zahlreichen Vertragsrückstände nicht wettmachen, denn „wer eine Hose braucht, wird sich kaum damit trösten lassen, er könne ja – weil er sie nicht bekommt – dafür zwei Jacken kaufen“. Jacke sei nun mal nicht gleich Hose. Verschärft wird das Problem dadurch, daß nicht wenige Betriebe verstärkt Waren der oberen Preisgruppe produzieren, weil das für sie lukrativer ist, und deshalb weniger Erzeugnisse der unteren und mittleren Preisgruppe in die Geschäfte kommen.

Die diesjährige Weihnachtsversorgung ist dadurch erheblich beeinträchtigt. Funktionäre räumen ein, daß es „verärgerte Kunden“ gebe. In Briefen an die Medien kritisierten DDR-Bürger, daß zwar reichlich von erfüllten und übererfüllten Plänen berichtet, aber zu wenig geprüft werde, welcher Bedarf denn nun befriedigt worden sei. „Schließlich will ich nicht kaufen, was gerade da ist, sondern was mir gefällt, und was ich brauche“, schrieb ein Leser an die „Norddeutsche Zeitung“. Das Blatt warnte die Betriebe davor, nach dem Motto zu produzieren: „Es wird ja sowieso alles gekauft“. Diese Praxis nutze niemandem, sie richte Schaden an.

Tatsächlich ist der Unmut in der Bevölkerung größer, als er in den Medien zum Ausdruck kommt. Spricht man in diesen Tagen mit DDR-Bürgern, kann man immer wieder Meinungen wie diese (von einer berufstätigen Mutter aus einer Kreisstadt an der Oder) hören: „Nun stehen die Polen bei uns nicht mehr Schlange, aber die Schlangen werden trotzdem immer länger. Was man gern kaufen möchte, ist nicht zu haben oder viel zu teuer: Dauernd rennt man von einem Laden zu anderen. Wenn man nicht bekannt ist, bekommt man nichts. Alles was knapp ist, wird unter dem Ladentisch verkauft. Wo soll das noch hinführen?“

Welche Formen der Verkauf „unter dem Ladentisch“ annimmt, bekamen zwei Studentinnen zu spüren, die in einem Selbstbedienungsladen am Leipziger Leuschnerplatz eine ganze Tiefkühltruhe voller gefrorener Pfirsiche, Erdbeeren und Johannisbeeren entdeckten und natürlich hoch erfreut zugriffen. Die Freude währte indes nicht lange, denn an der Kasse wurden ihnen die seltenen Köstlichkeiten mit der Begründung abgenommen, daß der Inhalt der Truhe bereits verkauft sei, wie die Studentinnen empört an den Ost-Berliner „Eulenspiegel“ schrieben.

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