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Das Scheitern der DDR beim „Überholen ohne Einzuholen” (30. Juli 1970)

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Die westdeutschen Unternehmen könne man, so heißt es, wirtschaftlich nicht mit deren abgelegten Latschen überholen. Aus westlichen Staaten importierte Forschungsergebnisse, Lizenzen, Patente, Ideen – das sei immer der Stand der Technik von gestern und der Wissenschaft und Forschung von vorgestern. Überholen könne man nur mit völlig neuen Ideen und industriellen Pionierleistungen, mit Erzeugnissen, Erzeugnisgruppen und Produktionsverfahren, deren Gebrauchseigenschaften und Kosteneffizienz vergleichbaren Weltmarktangeboten und internationalen industriellen Erfahrungen überlegen sind.

Das Illusorische eines solchen Überholens auf breiter Front kennt man in Ost-Berlin. Um das für die Parteielite so bitter notwendige Erfolgserlebnis dennoch zu erzwingen, wurde die Strategie der rücksichtslosen Konzentration von Wissenschaft, Forschung, Nationaleinkommen und Investitionskraft auf wenige „strukturbestimmende“ Erzeugnisse, Erzeugnisgruppen und Betriebe entwickelt. Wirtschafts- und Investitionskraft der „DDR“ sind 1970 dementsprechend auf gut hundert Betriebe konzentriert worden. Ähnlich hatte man sich schon 1969 auf nur 87 Automatisierungsobjekte beschränkt. Es entspreche nämlich nicht der „Härte des Klassenkampfes“, 33 Milliarden Mark Investitionen auf einige tausend Betriebe wie mit einer Gießkanne zu versprengen.

Ernsthafte Konsequenzen

Diese hohe Konzentration – so betont die SED-Führung – ist mit ernsthaften Konsequenzen verbunden. Bei einem geplanten Zuwachs der Investitionen um 11,4 Prozent gegenüber 1969 verschiebt die SED die Investitionsmasse zu Lasten anderer Bereiche auf die Industrie, deren Investitionen 1970 um 20 Prozent wachsen sollen. Innerhalb der Industrie wird nochmals rigoros konzentriert. So erhöhen sich die Investitionen der chemischen Industrie, deren Produktivitätsabstand gegenüber der Bundesrepublik mit 40 Prozent zugegeben wird, um 50 Prozent. Nur an Standorten der wenigen strukturbestimmenden Vorhaben sammeln sich auch die noch mehr geschmälerten Investitionen für kommunale, infrastrukturelle und sonstige gesellschaftliche Bereiche.

So verformt sich die mitteldeutsche Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung auf eine neue Weise. Wenige hundert Prestige- und Repräsentationszentren, deren Namen immer wieder in den Reden und Beschlüssen der Parteispitze erscheinen, sonnen sich auf der Glanzseite des „DDR“-Sozialismus; Zehntausende Kombinate, Betriebe, LPG, Kommunen vegetieren auf der Schattenseite noch armseliger dahin. Investitionen für die Zukunft nennt das die SED-Propaganda – eine imaginäre goldene Zukunft, die man vorsorglich weniger auf die 70er Jahre, sondern auf „größere Zeiträume“ mit Blick auf das Jahr 2000 bezieht.

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