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Die Prinzipien der „Sozialen Marktwirtschaft” (19. Dezember 1962)

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V.

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Wir müssen bei den Erwägungen in unserem Kreise und in der weiteren deutschen Öffentlichkeit davon ausgehen, daß die Soziale Marktwirtschaft nach einer Phase, die sich im ökonomischen Wiederaufbau und einem ungeahnten Vorstoß in der Richtung eines höheren Lebensstandards und in der Verbesserung der sozialen Bedingungen äußerte, nunmehr in eine zweite Phase eintritt, bei der unter Fortführung alles dessen, was begonnen wurde, eben doch ein neuer Akzent in das Ganze kommen muß. Nach meiner Überzeugung sollten wir versuchen, in sorgfältiger geistiger Vorarbeit in eine zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft einzutreten, in der in dem Maße, wie sich die ökonomischen Probleme als gelöst oder im Wachstum der nächsten Jahre als lösbar erscheinen, die gesellschaftspolitische Aufgabe hervorzutreten hat.

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VIII.

Wenn wir die Faktoren unserer gegenwärtigen Zeitlage richtig analysieren, so scheint es mir unausweichlich zu sein, die Aufgaben der Sozialen Marktwirtschaft in ihrer nun beginnenden zweiten Phase umfassender im gesellschaftspolitischen Sinne zu sehen. Das ist keine Sache persönlicher Neuerungssucht, sondern entspricht der Feststellung, daß Motive der Vergangenheit, insbesondere die der Knappheitsüberwindung und des puren Wachstums abklingen. Gerade der Erfolg läßt vieles Erreichte selbstverständlich erscheinen. Die zentrifugalen Kräfte unserer Gesellschaft werden in der Wohlstandssituation sichtlich größer und verlangen eine zusätzliche Anstrengung zur Integration unserer Gesellschaftsordnung. Die Demokratisierung der Konsummöglichkeiten und die durch die Erfahrung erwiesene Übereinstimmung der Grundinteressen fast aller Gruppen mit dem Gesamtwachstum bieten eine Basis, auf der eine solche Politik geführt werden kann. Ich habe an anderer Stelle in meiner Schrift „Soziale Marktwirtschaft II. Teil“ auf die praktischen Probleme einer solchen Gesellschaftspolitik hingewiesen. Ich muß mich hier darauf beziehen. Der Wirtschaftspolitische Ausschuß der CDU hat im August vergangenen Jahres 36 Thesen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik herausgegeben, die in der Richtung dieses Gedankens Konkreteres auszusagen suchen. Ich glaube aber, daß es gut ist, den Gedanken einer grundsätzlichen Neuordnung unserer Sozialen Marktwirtschaft nicht schon im Anfang in Einzelheiten sich verlieren zu lassen. Einzelheiten sind wichtig, aber am Anfang muß die grundsätzliche geistige Entscheidung stehen, ob wir in Reflektion auf eine harmonische Struktur unserer Gesellschaft tätig werden wollen oder ob die Wirtschaftspolitik ihr Heil in Gesetzesnovellen und in der Tagespolitik sucht.

Meine Forderung geht nicht dahin, das Gewicht auf allgemeine gesellschaftspolitische Maßnahmen zu verlagern und den wirtschaftspolitischen dabei geringere Bedeutung zuzugestehen. Eine unter dem Wirtschaftsordnungsgedanken geführte Wirtschaftspolitik wird ohnehin immer gleichzeitig auch Gesellschaftspolitik sein. Ich nenne hier die Währungspolitik. Währungsstabilität ist ein eminentes Mittel zur Schaffung von Stabilität in unserer Gesellschaft. Eine schleichende Inflationierung wird alle Bemühungen um Eigentumsbildung wieder in Frage stellen, wenn ihr durch Geldwertverschlechterung eine meist unsichtbare, aber unleugbare Eigentumsminderung entgegenwirkt.

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