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Die Prinzipien der „Sozialen Marktwirtschaft” (19. Dezember 1962)

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Die Erfahrung hat gezeigt, daß dieses fast selbstverständlich anmutende Ziel eines sehr subtilen Ordnungsdenkens bedarf; dies soll die Soziale Marktwirtschaft verwirklichen. Die Soziale Marktwirtschaft ist so eine Integrationsformel, durch die versucht wird, die wesentlichen Kräfte unserer heutigen Gesellschaft in eine echte Kooperation zu führen. Diese Spannungssituation der Gesellschaft kann nicht als eine statische Spannung angesehen werden, der durch eine einmalige Zuordnung von Marktwirtschaft und sozialer Sicherung entsprochen werden könnte. Der Spannungs- und Konfliktzustand unserer Gesellschaft unterliegt selbstverständlich dem geschichtlichen Wechsel und verlangt, daß die jeweiligen strategischen Formeln dieses irenischen Ausgleichs immer wieder neu gesucht werden müssen, um ihrer Aufgabe gewachsen zu sein. Soziale Marktwirtschaft ist so eine Strategie im gesellschaftlichen Raum; ob sie gelingt und ihr Ziel erreicht, wird nie exakt entschieden werden können, sondern nur im dauernden Prozeß der Lösung jener internen Konflikte unserer Gesellschaft, die wir als Realität hinzunehmen haben. Für eine erste Phase ihres Bestehens, glaube ich, hat die Soziale Marktwirtschaft diese Aufgabe einer Entspannung in der Mitte Europas gelöst und ihre politischen Wirkungen nach außen ausgestrahlt. Sie steht nunmehr, von außen und innen nicht mehr angefochten, vor den Aufgaben der Zukunft.

Der Stil der Sozialen Marktwirtschaft liegt so darin, jenseits einer restaurativen Politik, die das Vergangene konserviert oder eines Sozialdirigismus, der die freien Initiativen der Gesellschaft verkümmern läßt oder einer ungesteuerten, unkontrollierten Marktmechanik eine gesellschaftliche Lösung zu produzieren, in der alle Ziele einen möglichst realistischen Ausgleich finden. Sie ist eine irenische Formel, nicht ein utopischer Ansatz, der von irgendeiner Seite her durch Macht, Interventionen, Dirigismus, Konservativismus oder den Glauben an eine sich mechanisch verwirklichende Harmonie die gesellschaftlichen Aufgaben angeht.

Die Integrationsformel der Sozialen Marktwirtschaft ist als solche allgemein anwendbar; aber sie steht und gewinnt ihre Fruchtbarkeit in der Situation unserer heutigen Gesellschaft. Ihre Lage ist dadurch bestimmt, daß ein von der Technik her unvergleichlich beschleunigtes Tempo unserer Produktionsfortschritte auf allen Gebieten und eine durch diese Entwicklung mobilisierte und bedrohte Massengesellschaft im Rahmen einer freien Welt nach einem Ausgleich drängen. Den Wert dieser Formel bestätigt die Erfahrung, daß ein solcher Weg die moderne Massengesellschaft in den Bahnen einer freien Ordnung zu konsolidieren, grundsätzlich möglich ist. Der Massengesellschaft wird so nicht nur die Unruhe der modernen Entwicklung erträglich gemacht, sondern gleichzeitig wird sie auch befähigt, an den Erfolgen dieser Entwicklung insgesamt teilzunehmen. Als irenische Formel, als Stileinheit umfaßt die Soziale Marktwirtschaft nicht nur eine vom Markt her koordinierte Wirtschaftsordnung, sondern das Beiwort sozial gibt daneben den Hinweis darauf, daß diese Ordnung gesellschaftspolitische Ziele verfolgt. Die Bedeutung eben dieser gesellschaftspolitischen Seite ist in der ersten Phase der Verwirklichung der Sozialen Marktwirtschaft noch nicht so deutlich geworden. Man stellte überrascht die sozialen Effekte des Funktionierens einer Wettbewerbsordnung fest und begnügte sich im übrigen mit einer engeren Auslegung des Wortes sozial im Sinne der älteren Sozialpolitik als Hilfe für gewisse benachteiligte Schichten. Es scheint mir jedoch nunmehr an der Zeit, die gesellschaftspolitische Zielsetzung der Sozialen Marktwirtschaft stärker in den Vordergrund zu stellen.

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