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Wirtschafts- und Sozialpolitik auf Kreisebene (1986)

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An der Parteileitungssitzung kann der BD nicht teilnehmen, er wurde vom Minister kurzfristig nach Berlin bestellt. Ich versuche mir vorzustellen, wie viele Arbeitstage er allein dafür brauchen wird, alle seine 36 Kampfpositionen einmal im Monat zu kontrollieren und zu analysieren und Weisungen zu geben . . .

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Noch vor drei Jahren habe man in zehn Minuten durch das Kaltwalzwerk laufen können, heute brauche man dafür eine dreiviertel Stunde. Mehr als für die ganze Innenstadt von Salzungen, sagt HDF. In diesen Dimensionen müsse die Partei denken, wenn sie Kampfprogramme ausarbeite . . .

So gedankenlos wie in manchen Versammlungen die ökonomische Strategie der Partei, die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, jedem Referat und Diskussionsbeitrag vorangestellt werde, so einfach sei sie in der Praxis nicht zu verwirklichen. Die Wirtschaftspolitik hier im Kaltwalzwerk durchzusetzen – mit neuer Technologie zweistellige Steigerungsraten zu erreichen – das alles sei eine überschaubare, abrechenbare, also bei allen Problemen lösbare Aufgabe. Auch die Sozialpolitik, die besseren Arbeitsbedingungen, ein neuer Speiseraum . . . alles sei in diesem Fall eine planbare, bekannte Größe. Es wäre sogar noch relativ einfach, die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik so zu erklären, daß jeder versteht: Je billiger und schneller in unseren Betrieben produziert wird, um so mehr Wohnungen können wir bauen, um so mehr Kindergarten-Plätze werden wir haben
. . . Auch mit dem Slogan: Wir leisten was – Wir leisten uns was, könne man allgemein sehr überzeugend argumentieren, sagt der Erste. Aber sobald es konkret werde, in der Grundorganisation, bei jedem einzelnen Genossen im Betrieb – dort, wo sich alle Strategien erst verwirklichen –, sei es komplizierter. Über das »Wir leisten uns was« werde oft und gern geredet und geschrieben: die neue Wohnung, der neue Jugendklub, der Farbfernseher. Aber noch nicht alle wären bereit, mit der gleichen Begeisterung, offen und ehrlich darüber zu reden, was ein jeder, wirklich jeder, dafür leistet. Doch erst dort, mit der Arbeit des einzelnen, schließe sich der Kreis, der Zusammenhang von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Deshalb gehörten zu den Kampfprogrammen der Partei, die in diesen Tagen aufgestellt würden, nicht nur die ökonomischen Aufgaben, sondern vor allem Fragen der Ideologie, der Offenheit, der Ehrlichkeit, der Kritik und Selbstkritik. So wie es die Partei beschlossen habe . . .



Quelle: Landolf Scherzer, Der Erste. Eine Reportage aus der DDR. Köln, 1989, S. 196-200.

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