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Herbert Marcuse prangert den Vietnam-Krieg an (22. Mai 1966)

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In allen diesen Gruppen ist die Opposition nur eine Minorität, das müssen Sie im Auge behalten.

Die Opposition unter den Intellektuellen und der Jugend, besonders an den Universitäten, ist in dieser Kategorie wahrscheinlich die hörbarste, sichtbarste und wirksamste Opposition. Ich habe schon darauf hingewiesen: Auch die radikale Opposition unter den Studenten und der Jugend ist keine sozialistische und keine kommunistische Opposition. Das Mißtrauen gegen alle Ideologie (und Kommunismus, Sozialismus, Marxismus gelten diesen Jungen und Mädchen als Ideologie) ist ein entscheidender Faktor in dieser Bewegung. Das Schlagwort ‚Wir trauen keinem, der über dreißig Jahre alt ist’ charakterisiert die Situation. Man hört es oft: ‚Diese älteren Generationen haben uns in den Dreck gebracht, in dem wir heute sind, und was die uns zu sagen haben, das kann uns nichts mehr sagen’.

Auffallend ist die spontane Einheit von politischer, intellektueller und instinktiver sexueller Rebellion – eine Rebellion im Benehmen, in der Sprache, in der Sexualmoral, in der Kleidung. Es ist natürlich Unsinn, wenn die Presse dauernd berichtet, daß bei den Studentendemonstrationen ‚bearded advocates of sexual freedom’ vorherrschen. Das ist eine der typischen diskriminatorischen Sprachregelungen der Presse; aber immerhin, man spürt da etwas, das über die politische Opposition hinausgeht und eine neue Einheit darstellt: eine Einheit von Politik und Eros. [ . . . ]

Ich mag hier vollkommen romantisch sein, ich will das zugeben, aber ich sehe in dieser Einheit eine Verschärfung und Vertiefung der politischen Opposition.

Die zweite Gruppe, die sogenannten ‚Unterprivilegierten’, die Bürgerrechtsbewegung und der Kampf gegen das Elend. Ist sie eine wirkliche Gegenkraft? Es gibt in diesen Gruppen, besonders unter den Negern, eine Führung, die die Verbindung zwischen der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten und dem Krieg in Vietnam herzustellen versucht – nicht sehr erfolgreich. Denn wir dürfen nicht vergessen, daß ein großer Teil der unterprivilegierten Bevölkerung in den Vereinigten Staaten in Verhältnissen lebt, denen gegenüber selbst die Einberufung nach Vietnam als eine Verbesserung der Lage erscheint. Außerdem herrscht die Erwartung, daß diese Unterschichten innerhalb des Systems selbst aufrücken können und daß die bestehende Gesellschaft diese Möglichkeit verwirklichen kann.

Nur ganz kurz über die dritte und vierte Gruppe.

Die radikalreligiöse Protestbewegung hat ihre Märtyrer: Die Zahl ist klein und die Wirkung nicht sichtbar. Die Kategorie ‚Frauen’ mag in diesem politischen Zusammenhang befremden. Ich habe sie nur erwähnt, um der Tatsache gerecht zu werden, daß die von Tür zu Tür gehenden Sammler von Unterschriften gegen den Krieg am meisten Verständnis bei Hausfrauen gefunden haben. Sind Frauen von der Aggressivität der männlichen Gesellschaft noch relativ verschont?

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