GHDI logo

Wehrunterricht und Evangelische Kirchen (14. Juni 1978)

Seite 2 von 2    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Diese Planung wurde vom Staatssekretariat für Kirchenfragen ausführlich interpretiert und erläutert. Aus der Argumentation, die sich auch aus dem weiteren Gespräch mit den Vertretern der Kirche ergab, wird hier festgehalten:

– Die vorgesehene Maßnahme sei nicht als einzelne zu betrachten und zu beurteilen, sondern müsse im gesamten Zusammenhang der Friedenspolitik der Regierung der DDR gesehen werden.
– Wehrunterricht und Glaubwürdigkeit der Friedenspolitik hingen zusammen. Stabilität und Verteidigungsbereitschaft der DDR hätten entscheidend zur Erhaltung und Sicherung des Friedens in der Mitte Europas beigetragen.
– Die Einführung von Wehrunterricht befinde sich in völliger Übereinstimmung mit den Gesetzen der DDR: Verfassung, Artikel 23, – Gesetz zum Schutze des Friedens, – Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, – Jugendgesetz, – Gesetz über Zivilverteidigung.
– Durch die Einführung von Wehrunterricht würden keine prinzipiell neuen Tatsachen geschaffen (vgl. Hans-Beimler-Wettkämpfe – GST – vormilitärische Ausbildung).
– Der geplante Wehrunterricht befähige Christen zur praktischen Ausübung von Nächstenliebe im Katastrophenfall, zur wirksamen Hilfe für andere in Zivilverteidigung – Selbstschutz – Erste Hilfe.
– Alle anderen sozialistischen Länder hätten bereits obligatorischen Wehrunterricht als Bestandteil des Schulunterrichts und hätten sehr gute Erfahrungen damit gemacht.
Die angestrebten Erziehungsziele seien: Disziplin – Verantwortungsbewußtsein – Aktivität – Körperliche Ertüchtigung.
– Das Prinzip der Freiwilligkeit sei bei der Ausbildung an Waffen gewährleistet. Es sei aber eine 100 %ige Beteiligung angestrebt.


Gegenüber dieser Darlegung haben die Vertreter der Kirche Besorgnisse und Einwände vorgetragen.

– Frage, ob eine klare Orientierung auf Erziehung zum Frieden den Vorrang behalten kann, wenn durch eine verstärkte Wehrerziehung die Bewußtseinsbildung einseitig beeinflußt wird.
– Schwere Bedenken hinsichtlich des Alters, in dem Wehrerziehung einsetzen soll. Gefahr der frühzeitigen Fixierung auf Freund-Feind-Denken, Gewöhnung an Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten.
– Befürchtung, daß Einführung von obligatorischem Wehrunterricht in den Schulen zu diesem Zeitpunkt (Schaffung von vertrauensbildenden Maßnahmen, Entspannung, vermehrte Bemühungen um Abrüstung) außenpolitisch als demonstrativer Akt verstanden werden muß und die Glaubwürdigkeit der Friedenspolitik der DDR dadurch Schaden leidet.
– Die Wirksamkeit des Friedenszeugnisses evangelischer Christen aus der DDR in der Ökumene wird beeinträchtigt.

Für den Fall der Einführung von Wehrunterricht in der vorgesehenen Weise haben die Vertreter der Kirche erklärt, daß sie für diejenigen Eltern und Erziehungsberechtigten eintreten werden, die sich aus Gewissensgründen nicht in der Lage sehen, ihre Kinder an diesem Unterricht teilnehmen zu lassen. Sie haben ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, eine gewissensmäßig begründete Nichtbeteiligung an diesem Unterricht würde als Zeichen politischer Unzuverlässigkeit gewertet werden.

Die auf der Basis gemeinsamer Verantwortung für den Frieden und die Menschen von den Vertretern des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR vorgetragenen Gesichtspunkte wurden staatlicherseits aufmerksam gehört. Es war nicht ersichtlich, daß die Regierung von dem geplanten Unterricht Abstand nehmen wird.

[ . . . ]


Quelle: „Konferenz der Evangelischen Kirchenleitung in der DDR zur Einführung des Wehrunterrichts vom 14. Juni 1978“; abgedruckt in Hans-Jürgen Fuchs und Eberhard Petermann, Hg., Bildungspolitik in der DDR 1966-1990. Dokumente. Berlin 1991, S. 115-20.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite