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Studienplatz als Mangelware (1974)

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Was heißt das bei ungefähr 20 000 Berufen und Tätigkeiten? Dazu Schnoor: „Wir müssen eine Rangliste für die rund 100 Studiengänge machen und sagen, wessen Warten qualifizierter ist.” Alle denkbaren Berufe vom „Pflastermaler im Tessin” (so die Bonner Berufsbildungsexperten sarkastisch zu diesem Vorschlag) bis zum Zahntechniker müßte der Computer speichern. Sie meinen zwar, daß sie das „hinkriegen”. Für sinnvoll halten sie es jedoch nicht. Die Bewerber werden sich darauf einstellen, welche Berufe hoch bewertet sind. Auch die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind folgenreich. Die Berufsbildungsfachleute vermuten, daß die wartenden Abiturienten auf Kosten der ausländischen Arbeitnehmer vom Markt aufgesogen werden. Andere Experten befürchten noch weniger Lehrstellen, noch weniger Möglichkeiten für Praktikanten, für die nie ein Hochschulstudium in Frage kommt. Keine dieser Auffassungen ist zur Zeit jedoch belegbar.

Einen Ausweg sehen die ZVS-Verwalter im „besonderen Eingangsverfahren”, einer Lieblingsidee des früheren Bildungsministers Klaus von Dohnanyi. Er und heute auch die Freien Demokraten möchten dieses Verfahren nur bei den medizinischen Fächern anwenden. Anstelle von guten Durchschnittsnoten sollen mit Hilfe von Tests und Interviews die Fähigkeiten eines Bewerbers geprüft werden, damit – so CDU-Kultusminister Bernhard Vogel – „auch ein Dreikommanuller noch eine Chance hat”.

Die Düsseldorfer halten nicht viel von dieser Idee, weil sie sich nur auf medizinische Fächer konzentriert. Bewerber, die in diesen Fächern trotz guter Noten abgewiesen werden, drängen logischerweise in andere Studiengänge und werden dort das gleiche Chaos verursachen. Deshalb meint Schnoor unmißverständlich, das Abitur dürfe nur noch Abschluß sein und keine Berechtigung verleihen. „Wir müssen einen dicken Riegel zwischen Schule und Hochschule ziehen, um die Schule zu schützen, und um in der Schule möglichst viele, möglichst weit zu bringen.”

Schnoor wehrt sich gegen den enormen Druck, der jetzt durch den Staatsvertrag auf die Schule übertragen wurde. Er und die übrigen sozialdemokratischen Kultusminister wehren sich dagegen, daß die Schule die Studentenzahl steuert, daß sie Siebe einzieht und Sozialchancen zuteilt. „Wir brauchen auch den Handwerksmeister mit einem qualifizierten Schulabschluß. Wir müssen allen Jugendlichen mehr mitgeben und können nicht nur auf die zwanzig Prozent Studenten starren, die uns bei der Verteilung auf die Plätze Probleme machen.”



Quelle: Jutta Roitsch, „Ulrike K. und das Chaos in der Bildungspolitik“, Frankfurter Rundschau, 12. Dezember 1974.

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