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Eine Würdigung Ludwig Erhards (1. Dezember 1966)

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Ist Ludwig Erhard an den Intriganten seiner eigenen Partei gescheitert, wie er zürnend glaubt? Wer möchte das vermuten von einem Mann, der vor wenigen Jahren sich so hoch einschätzte: „Ich bin heute Politiker aus Leidenschaft und nicht in dem primitiven Sinne eines politischen Ehrgeizes, sondern ich bin Politiker aus der Überzeugung heraus, daß mir die Gabe verliehen ist, das Schicksal eines Volkes doch gnädig zu gestalten." Dieser Mann, der tief innerlich überzeugt war, zur Führung auserwählt zu sein, ist letztlich an sich selbst gescheitert.

Ludwig Erhard ist ein Liberaler mit vielen Zügen, guten Zügen des 19. Jahrhunderts. Er ist ein Mann des guten Willens, dem nicht zufällig das Wort „redlich" so oft von den Lippen springt. Er glaubt an den Menschen, hält ihn von Natur für gut und einsichtig. Er glaubt an die Überzeugungskraft der Argumente, an den Verstand und an den dem Menschen eingeborenen Gemeinsinn. An all das hat der Bundeskanzler Erhard mehr als einmal appelliert. Muß ein solcher Mann in der Politik an der Natur der Menschen scheitern? An gleicher Stelle wurde das vor drei Jahren gefragt. Die Antwort kennt inzwischen jeder.

Niemand sollte sich nach Tisch darüber verwundern, daß Ludwig Erhard das harte Geschäft der politischen Taktik, des Ausbalancierens der Kräfte, der Bewahrung der eigenen Macht nicht beherrscht hat. Jeder, der den Bundeswirtschaftsminister Erhard kannte, der das Duell zwischen Konrad Adenauer und Ludwig Erhard in den Jahren 1959 bis 1963 aus der Nähe beobachtete, kannte die Schwächen Erhards. Man verspürte damals seine Neigung zu reden, wenn Schweigen Gold gewesen wäre, und zu schweigen, wenn ein offenes Wort dringend vonnöten war. Man stellte auch fest, daß er ein Mann des Zögerns nicht nur aus seinem Temperament, sondern auch aus seiner politischen Philosophie heraus war. Das machte es ihm möglich, vier Jahre lang das unbarmherzige Zuschlagen jenes Konrad Adenauer zu überdauern, der seine politische Befähigung immer angezweifelt hatte. Aber die gleichen Eigenschaften, die dem Kanzlerkandidaten zu überleben erlaubten, ließen den Kanzler Erhard scheitern. Jetzt kam das Wort auf, durch Erhard lerne man, daß nicht nur Politik den Charakter verderben, sondern auch Charakter die Politik verschlechtern könne.

Symbol des Wohlstands

Der Mann, der einmal sagte, im letzten habe ihn keine Partei gewählt, der ein Volkskanzler sein wollte, fand sich, als das wirtschaftliche Klima kühler wurde, ohne Volk und ohne Partei in der Einsamkeit des Palais Schaumburg wieder. Er wollte einen neuen Stil des politischen Anstands prägen und sah sich empört wütenden Zurufen bei Versammlungen im Ruhrgebiet ausgesetzt. Er hat nie geahnt, daß früherer Jubel im Volk nicht so sehr der Person Ludwig Erhards, sondern dem Symbol des Wohlstands galt, daß ihn die Fraktion der CDU CSU nicht zum Bundeskanzler wählte, weil sie an seine politische Befähigung glaubte, sondern weil sie in ihm den Stimmenernter bei Wahlen sah. Der Wohlstand zeigte Risse, die Stimmen in Nordrhein-Westfalen gingen zurück. Das Symbol, das seine Kraft verloren hatte, wurde beiseite gestellt – das ist Schicksal und Tragik Ludwig Erhards.



Quelle: Georg Schröder, „Das Ende einer Kanzlerschaft“, Die Welt, 1. December 1966.

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