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Ein neues Kapitel in der Wirtschaftspolitik (21. März 1962)

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Und auf der anderen Seite handelten die Unternehmer nicht minder widerspruchsvoll, wenn sie als Folgewirkung zwar exportpolitische Schäden voraussagten, aber dennoch bereit waren, auch wider bessere Einsicht der Verteuerung der Produktion und der daraus resultierenden Preiserhöhung Raum zu geben. Tatsächlich hat die Aufwertung der DM im Jahre 1961 durch eine um genau 4,8 prozentige Verbilligung der Einfuhr den Preisauftrieb auf dem Binnenmarkt zurückgedämmt, denn im anderen Falle hätte die mangelnde Disziplin der Sozialpartner sich noch viel nachteiliger für den Verbraucher auswirken müssen.

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Was will ich denn? Ich möchte sichergestellt wissen, daß sich das alte Sprichwort »Wer nicht hören will, muß fühlen« am deutschen Volk nicht noch einmal tragisch erfüllt. Das deutsche Volk besteht eben einmal nicht nur aus Tarifpartnern. Und es widerspricht dem innersten Wesen einer demokratisch-parlamentarischen Ordnung dazu, die Stabilität der Währung, d.h. die Erhaltung des Geldwertes, und das wieder bedeutet in letzter Konsequenz die gesellschaftliche und soziale Ordnung wie auch das wirtschaftliche Schicksal eines Volkes, dem Ermessensspielraum von Tarifpartnern zu überantworten, die dann nur allzu leicht bereit sind, die Auswirkungen ihres Verhaltens der Regierung als Versagen und Schuld anzulasten. Man kann es dieser darum nicht zum Vorwurf machen, wenn sie die ungezügelte Freiheit – so wie es in allen anderen europäischen Ländern auch der Fall ist – durch eine Versachlichung der Verhandlungen und durch öffentliche Aufklärung zu bändigen bestrebt sein wird.

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Lassen Sie mich, meine verehrten Hörerinnen und Hörer, zum Schluß ein gutes und versöhnendes Wort sagen: Nichts lag mir mit dieser Rede ferner, als Gegensätze aufzureißen oder eine gesellschaftspolitische Anklage gegen wen auch immer zu erheben. Gerade aber weil ich für das deutsche Volk aus innerster Überzeugung Verpflichtung und Mitverantwortung fühle, mögen Sie auch über Gruppen, Schichten und Stände hinweg erkennen, wie ernst es mir in einer, wie ich glaube, entscheidenden Stunde ist, jeden einzelnen meiner Mitbürger unmittelbar anzusprechen, ja, wachzurütteln, um ihm deutlich zu machen, daß ihn keine Mitgliedschaft weder zu einer Partei noch zu einer Organisation oder was auch immer von seiner persönlichen Verantwortung und vor seinem Gewissen freisprechen kann.



Quelle: „Maßhalten! Rundfunkansprache, 21. März 1962“; abgedruckt in Karl Hohmann, Hg., Ludwig Erhard. Gedanken aus fünf Jahrzehnten. Reden und Schriften. Düsseldorf et al., 1988, S. 729-37.

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