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Blick von außen auf den Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik (30. November 1980)

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Nicht völlig erhaben über den Vorwurf, die wachsende Brisanz der rechtsextremen Aktivitäten unterschätzt zu haben, sind jedoch jene Politiker, die noch bis zum Münchner Blutbad mehr oder weniger offen behauptet hatten, der für die Sicherheitsdienste verantwortliche Innenminister Baum überzeichne bewußt die Dimensionen des Rechtsextremismus, um so von den mangelnden Erfolgen bei der Bekämpfung des Linksterrorismus abzulenken. Der bayrische Innenminister Tandler war zweifellos schlecht beraten, als er noch Anfang September mit deutlicher Spitze gegen seinen Bonner Amtskollegen Baum kritisierte, über die Realitäten hinaus werde eine rechtsextreme «Schattengefahr» aufgebaut. Auch von Strauss sind frühere Zitate über den Rechtsextremismus verbreitet worden, die jedenfalls nach dem Münchner Fanal als Verharmlosung erscheinen mussten und die ihm in der Endphase des Wahlkampfes nicht wenig geschadet haben dürften.

Agitation gegen Ausländer

Bis zu den jüngsten Terroranschlägen fiel es allerdings auch neutralen Beobachtern schwer, hinter den neonazistischen Umtrieben in der Bundesrepublik mehr als nur wirres Sektierertum einiger hoffnungslos isolierter Häuflein zu sehen. Zwar erscheint das rechtsextreme Wochenblatt «Deutsche National-Zeitung» seit Jahren in einer Auflage von rund 100 000 Exemplaren, und daneben wuchert in dieser rechten Ecke ein dichtes publizistisches Gestrüpp brauner Sumpfblüten. Aber längere Zeit schienen die primitiven Parolen der extremen Rechten – die kein geschlossenes Konzept erkennen lassen, sondern nur ein konfuses Durcheinander von theatralischer NS-Verherrlichung, rabiatem Antisemitismus und Antikommunismus sowie verächtlicher Ablehnung der parlamentarischen Demokratie – über den schon aus biologischen Gründen dünner werdenden Kreis der Altnazis hinaus kaum breitere Resonanz zu finden.

Selbst als in den siebziger Jahren in den Reihen der gewalttätigen neonazistischen Zirkel zunehmend jüngere Leute auftauchten, glaubte niemand so richtig an die Existenz eines ernstzunehmenden Sympathisantenumfeldes, über das im Zusammenhang mit dem Linksterrorismus hierzulande so intensiv diskutiert worden ist. Inzwischen jedoch scheint die militante Rechte dabei ihren bisher auch quantitativ sehr beschränkten geistigen Nährboden durch gezielte Agitation gegen die Ausländer in der Bundesrepublik auszuweiten. In Westdeutschland leben gegenwärtig fast 4,5 Millionen Ausländer (rund 7,5 Prozent der Gesamtbevölkerung), die angesichts düsterer werdender wirtschaftlicher Aussichten und steigender Arbeitslosigkeit mancher Bundesbürger weniger leicht akzeptiert werden als in früheren Boomjahren. Zugespitzt hat sich die Ausländerproblematik weiter durch den flutartig angeschwollenen Strom von Asylbewerbern – hauptsächlich aus der Türkei und der Dritten Welt –, deren Zahl allein für dieses Jahr auf weit über 100 000 geschätzt wird. Im sich da und dort heftiger bemerkbar machenden sozialen Unmut über diese Entwicklung liegt zweifellos das gefährlichste Zündstoffpotential für rechtsextremistische Fanatiker.

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Quelle: R.M., „Unterschätzter Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland? Das Signal des Münchner Bombenanschlages“, Neue Zürcher Zeitung, 30. November 1980.

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