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Blick von außen auf den Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik (30. November 1980)

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Sensibilisierung der Öffentlichkeit

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Jüngste Ereignisse machen deutlich, dass einzelne Aktivisten der rechtsextremen Szene sich nicht mehr mit beschränkten Gewaltausschreitungen begnügen, sondern direkt zu mörderischen Terroranschlägen übergehen. So gab es im Laufe dieses Jahres neben dem Münchner Attentat mindestens sechs Bombenexplosionen gegen jüdische Gedenkstätten oder Aufnahmeeinrichtungen von Ausländern. Bei einem Brandanschlag gegen ein Ausländerwohnheim in Hamburg sind im August zwei vietnamesische Flüchtlinge getötet worden. Die Täter dieser Verbrechen konnten verhaftet werden. Es handelte sich vornehmlich um Mitglieder der sogenannten Deutschen Aktionsgruppen. Kopf dieser rechtsextremen Organisation ist der inzwischen ebenfalls verhaftete ehemalige Rechtsanwalt Manfred Röder. Insbesondere die Gewaltausschreitungen gegen Ausländer verweisen auf eine neue und in ihren potentiellen Wirkungsmöglichkeiten beunruhigende politische Stossrichtung rechtsextremistischer Agitation.

Laut dem letzten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1979 ist zwar die Gesamtzahl der rechtsextremen Organisationen und ihrer Mitglieder weiterhin leicht rückläufig. Diese statistische Tendenz ist in der Hauptsache bedingt durch den anhaltenden Niedergang der sich demokratisch gebärdenden Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), die mit rund 8000 Parteiangehörigen ungefähr die Hälfte des Mitgliederbestandes aller rechtsextremen Gruppen stellt. Bei der Bundestagswahl vom 5. Oktober erhielt die NPD 67 000 Stimmen, womit ihr prozentualer Anteil gegenüber dem Ergebnis vor vier Jahren um die Hälfte, um 0,2 Prozent, dezimiert wurde. Noch 1969 hatte die NPD mit 4,3 Prozent den Sprung in den Bundestag knapp verfehlt. Als politische Alternative im Rahmen der demokratisch-parlamentarischen Spielregeln scheint die extreme Rechte in der Bundesrepublik heute also nahezu bedeutungslos.

1400 Aktivisten

Die umgekehrte Tendenz aber zeigt sich bei den auf rund dreißig geschätzten militanten Neonazigruppen, deren Aktivistenstamm vom Verfassungsschutz Ende 1979 mit 1400 Personen beziffert wird, was gegenüber 1978 eine starke Zunahme von 40 Prozent bedeutet. Zum harten Kern dieser rechtsextremen Fanatiker, die zunehmend konspirativ agieren und nun in verschiedenen Fällen zu offenen Terrorverbrechen übergegangen sind, rechnete man vor einem Jahr etwa dreihundert Personen. Dieser Kreis könnte sich inzwischen nicht unwesentlich erweitert haben. Sehr stark zugenommen haben in den letzten drei Jahren auch die rechtsextremistischen Ausschreitungen, zu denen allerdings auch kleinste Verstöße wie das Tragen nazistischer Embleme zählen (1979 wurden rund 1500 Zwischenfälle registriert – 50 Prozent mehr als im Vorjahr). Ebenso verdoppelte sich innerhalb eines Jahres die Zahl der größeren rechtsextremen Gewalttaten auf 117. Die Gerichte und Ermittlungsbehörden sind dieser Entwicklung gegenüber nicht untätig geblieben: wegen Delikten mit rechtsradikalem Hintergrund gab es im vergangenen Jahr immerhin 365 Verurteilungen. Im Prozess gegen die Terroristengruppe des ehemaligen Bundeswehrleutnants Michael Kühnen, der die NSDAP neu aufbauen wollte, wurden erstmals hohe Freiheitsstrafen zwischen vier und elf Jahren ausgesprochen. Zurzeit laufen im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Vergehen mehrere hundert Ermittlungsverfahren. Der gelegentlich erhobene Vorwurf, in der Bundesrepublik herrsche eine gewisse Blindheit gegenüber den Gefahren von rechts, dürfte also zumindest bei den deutschen Justizorganen an die falsche Adresse gerichtet sein.

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