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Teilerfolg bei Rückkehrzahlungen (14. Dezember 1974)

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Alle an dem Gespräch beteiligten Türken hörten nur durch das Fernsehen und durch Zeitungen, daß Ausländer vor Deutschen entlassen würden, nicht aber von den Kollegen bei Ford. Keiner kennt das Wort „Sozialplan“ oder hat auch nur eine Ahnung davon, was dieser Plan im Zusammenhang mit den angekündigten Massenentlassungen bedeutet.

Auf diesen Sozialplan bei Ford weist Udo Reinhold, Sprecher des Werks, hin. Bei Entlassungen werde man sich nach dem vor Jahren mit dem Betriebsrat beschlossenen Plan richten, nach dem ohne Rücksicht auf Hautfarbe oder Nationalität vorgegangen werden müsse. Entschieden werde nach „Sozialpunkten“ wie Familienstand, Kinderzahl, Betriebszugehörigkeit und Altersschutz. Gekündigt werde demnach dem Deutschen mit zwei Kindern und nicht dem Türken mit vier Kindern, wenn beide eine sonst gleiche Punktzahl hätten.

Reinhold sagt, daß man sich bei Ford mit Kurzarbeit „über die Runden half“. Mit dem vorgesehenen Abstrich – gemeint sind die etwa 5000 freiwilligen oder unfreiwilligen Kündigungen – sollten die restlichen Arbeitsplätze erhalten werden.

Bei der Arbeiterwohlfahrt in Köln, der Beratungsstelle für Türken, glaubt Abdullah Kocabiyik, seine Landsleute bei Ford hätten das Abfindungsangebot nur darum in so panischer Angst unterschrieben, weil sie verständen hätten, sie würden ohnehin entlassen werden. Neunzig Prozent von ihnen wüßten nichts von dem Sozialplan, und es sei ihnen im Zusammenhang mit den Informationen dieser Woche auch nicht erläutert worden. Neue Arbeitsmöglichkeiten für Türken gebe es weder in Köln noch in anderen Städten außer im Untertagebau. Die Arbeit im Bergbau werde wahrscheinlich von der Hälfte derer angenommen werden, die jetzt bei Ford unterschrieben hätten. Im Wohnheim versicherten Türken dagegen, sie gingen nicht ins Bergwerk. Lieber würden sie „auf der Erde“ in der Türkei Arbeit suchen.

„Die Zahl der offenen Stellen im Bergbau geht zurück, aber 229 haben wir noch frei“, teilte auf Anfrage das Arbeitsamt in Gelsenkirchen mit. „Wie ein Magnet“ wirke zur Zeit die Zeche Hugo auf arbeitslose Ausländer aus Autofabriken, weil man dort auch Wohnheimplätze anbiete. Aber die Türken aus den Autofabriken sprächen meist kein Deutsch, und „gutes Deutsch“ werde unter Tage verlangt.

Gelassen sieht man im Kölner Arbeitsamt der eventuell schon bald heranschwappenden Welle arbeitsloser türkischer Autoarbeiter entgegen. Bisher sind rund 3000 der 12 000 bei diesem Amt gemeldeten Arbeitslosen Ausländer (bei
450 000 Beschäftigten, davon 65 000 Ausländern). Direktor Heinz Fetten und Personalleiter Alfred Iser sagen, daß arbeitslose Deutsche bei der Vermittlung Vorrang vor Ausländern hätten. In ungekündigte Arbeitsverhältnisse bei Ausländern, deren Aufenthaltserlaubnis abgelaufen sei, greife man aber nicht ein. Und man werde auch weiterhin „nach vernünftigen Gesichtspunkten“ entscheiden. Wenn Ford nach dem Sozialplan Deutsche vor Ausländern entlasse, dann sei das eine Sache der Tarifpartner, und für das Arbeitsamt bestehe keine rechtliche Möglichkeit, den Schiedsrichter zu spielen. Dies wird angesichts einer möglichen Probe auf das Exempel mit Erleichterung versichert. Zu der Probe, ob Deutsche für Ausländer den Arbeitsplatz räumen, muß es nun aber wahrscheinlich nicht kommen. Die Türken entschieden aus Angst für die Deutschen.



Quelle: Key L. Ulrich, „In großer Sorge nehmen viele Türken die Abfindung und unterschreiben ihre Kündigung“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Dezember 1974.

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