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Wie Soldaten das Leben im Krieg beschreiben III: Hans Stegemann (1914)

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Wieder ein grüner Rock. Ein Gefreiter geht zurück. „Nanu, was ist los?“ „Keine einzige Patrone mehr.“ „Herrjeh, da sind ja welche.“ „Gott sei Dank!“ „Rauf auf den Wagen. So, nun zeige Bescheid.“ Noch ein kurzer Trab, da liegen sie schon. Als sie mich sehen, verfeuern sie die letzte Munition. Es gibt ja neue. Viertausend habe ich mit. Inzwischen fängt es an, ernst zu werden; der Mann, der eben noch auf dem Patronenwagen saß, liegt daneben. Sein Bein ist kaputt; es ist jetzt schon abgenommen. Ich halte hoch zu Roß neben einer Artilleriemunitionskolonne, sechs Wagen, dazu meine Patronenwagen. Der Gegner hat sich eingeschossen. Jetzt geht der Zauber los, sss ... rrr ... sch! geht es, wie wenn ein Riese mit einem Stock ins Laub der Eichbäume schlägt. Von dem fünften Artilleriewagen liegen die Gäule alle da (der nächste ist heil), drei Pferde rechts, drei Pferde links und halten die Beine hoch und strampeln. Die Bedienungsmannschaften kriechen am Boden umher, viele sind tot. Eben war die Kolonne noch heil und fidel. Und nun sieht es aus, als ob jemand mit einer großen Fliegenklappe zugeschlagen hat. Mein Wagen hält mitten dazwischen, das Gepfeife geht immer weiter. Vorläufig steige ich nicht ab. „Wen's trefft, den trefft's“, sagt mein Jäger immer; er hat recht. Meine Leute laden aus mit einer Ruhe, als ständen wir am Sonntag in Görlitz auf dem Dorfplatz, sie zählen wie beim langsamen Schritt: einhundert, zweihundert, dreihundert, vierhundert und so weiter; sie stapeln die Päckchen auf. Die Jäger kommen und holen sich die spitzen Dinger mit Ruhe. Die Engländer laufen ja nicht weg und die Holsteiner kommen nicht aus der Ruhe. Wenn eine „schwere“ pfeift, grienen sie und pfeifen mit dem Munde den Ton nach. Als einer meine brennende Pfeife sieht, sagt er: „Donnerwetter, das ist auch wahr“, holt sich eine lädierte Zigarre heraus und raucht. „Sie wär‘ mir doch beinah kaputt gegangen.“ Immer Ruhe. Einer nimmt den Tschako ab und besieht ihn. Völlig durchlöchert: „Wenn dat man nicht dörchregent nu“ – und setzt ihn wieder auf. „So, nun habt ihr Patronen.“ Mein Gaul fällt unterm Sattel und stangelt. Ich habe jetzt keine Zeit, bringe Munition in die Schützenlinie. Als ich zurückkomme, kommt er mir ganz fidel entgegengewiehert und beschnuppert mich. Er hat drei Streifkugeln hinten und nur einen Schreck bekommen. Ich habe einen Schuß durch die Gamasche. Es ist dieselbe Stelle wie damals. Ich muß mir nun schon die dritten Gamaschen kaufen. Ein Schuß ging durch den Rockärmel; der wird genäht. Die teure Haut ist unverletzt.



Quelle: Hans Stegemann, in Philipp Witkop, Hg., Kriegsbriefe gefallener Studenten. München, 1928, S. 211-14.

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