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Der Schlieffen-Plan (1905)

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Gegen eine nördliche Umfassung beabsichtigen die Franzosen die Maas zwischen Verdun und Mézières zu besetzen, den eigentlichen Widerstand wollen sie jedoch, wie es heißt, nicht hier, sondern hinter der Aisne etwa zwischen St. Ménehould und Rethel leisten. Eine Zwischenstellung hinter der Aire scheint auch noch in Aussicht genommen zu sein. Greift die deutsche Umfassung noch weiter herum, so stößt sie auf eine starke Höhenstellung, deren Stützpunkte die Festungen Reims, Laon und La Fère bilden.

Die Deutschen finden somit vor sich:

1.) Die Stellung Belfort, Epinal, Toul, Verdun mit einer Verlängerung längs der Maas bei Mézières. Vorgeschoben sind Truppen an die Vogesen, an die Meurthe, nach Nancy und an die Côtes Lorraines zwischen Toul und Verdun.

2.) Die Zwischenstellung an der Aire.

3.) Die Stellung an der Aisne.

4.) Die Stellung Reims—La Fère.

Wenig vertrauensvoll wird man an einen Angriff auf diese vielen starken Stellungen gehen. Mehr versprechend als der Frontalangriff mit Umfassung des linken Flügels scheint ein von Nordwesten gegen die Flanken bei Mézières, Rethel, La Fère und über die Oise gegen den Rücken der Stellung gerichteter Angriff zu sein.

Um zu diesem zu gelangen, muß die belgisch-französische Grenze auf dem linken Maasufer mit den befestigten Plätzen Mézières, Hirson, Maubeuge, drei kleinen Sperrforts, Lille und Dünkirchen bewältigt und, um so weit zu kommen, die Neutralität von Luxemburg, Belgien und den Niederlanden verletzt werden.

Die Verletzung der Neutralität von Luxemburg wird abgesehen von Protesten keine Folge von Bedeutung haben. Die Niederlande erblicken in dem mit Frankreich verbundenen England nicht weniger einen Feind als Deutschland. Ein Abkommen mit ihnen wird sich erzielen lassen.

[Belgien wird sich voraussichtlich widersetzen.] Seine Armee wird sich bei einem Vorgehen der Deutschen nördlich der Maas programmäßig nach Antwerpen zurückziehen und muß dort eingeschlossen werden, womöglich auch nördlich durch Sperrung der Schelde, um die Verbindung mit der See und mit England abzuschneiden. Für Lüttich und Namur, denen nur eine schwache Besatzung zugedacht ist, wird eine Beobachtung ausreichen. Die Zitadelle von Huy wird genommen oder unschädlich gemacht werden können.

Wenn die Deutschen unter Sicherung gegen Antwerpen, Lüttich und Namur vorrücken, so finden sie eine befestigte, aber nicht in so ausgedehnter und gründlicher Weise befestigte Grenze vor sich, wie es die gegen Deutschland gerichtete ist. Wollen die Franzosen sie verteidigen, so müssen sie Armeekorps und Armeen aus der ursprünglichen Front nach der bedrohten Front schieben und zurückgehaltene Reserven, z. B. die Korps an der Alpengrenze dorthin vorführen. Es ist aber zu hoffen, daß ihnen dies nicht in ausgiebiger Weise gelingt. Sie werden daher vielleicht auf den Versuch, eine so übermäßig lange Linie zu besetzen, verzichten und mit allen Truppen, die sie zusammenraffen können, die Offensive gegen die drohende Invasion ergreifen. Mögen sie angreifen oder sich verteidigen, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß es in der Nähe der Grenze Mézières—Dünkirchen zum Zusammenstoß und Kampf kommt, und für diesen Kampf sich möglichst stark zu machen, ist die Aufgabe der Deutschen. Wenn auch dieser Kampf nicht erfolgen und die Franzosen hinter der Aisne bleiben sollten, so wird doch ein starker deutscher rechter Flügel auch für die ferneren Operationen von größtem Wert sein.

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