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England und die deutsche Flotte: Alfred von Tirpitz blickt zurück auf das Flottenwettrüsten (1920)

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3.

Manche meinen, das Deutsche Reich hätte zu unserer Zeit ein aufrichtiges Freundschaftsverhältnis mit England erlangen können, und nur Versäumnis der deutschen Staatskunst, insbesondere aber unser Flottenbau, habe die Aussicht verscherzt. Sollte sich dieses Bild in deutschen Köpfen festsetzen, so könnte man darin zunächst die Regel bestätigt finden, daß der Sieger die Geschichte schreibt; und der Besiegte würde sie in diesem Falle fälschen, um der angelsächsischen Weltherrschaft in seinem historischen Gewissen huldigen zu können.

Nun bestreiten aber die Engländer, den Krieg gegen uns gewollt zu haben. Wer also in Deutschland den Flottenbau für den Krieg verantwortlich macht, kann für diese Schuld nicht einmal den Gegner ins Feld führen. Die Selbstbezichtigung folgt einer falschen Spur: die geschichtliche Wahrheit liegt vielmehr in einer der letzten Kundgebungen Bismarcks aus dem Jahre 1898, zu einer Zeit, da wir noch keine Flotte besaßen: „Er bedauere, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und England nicht besser seien, als sie eben sind. Bedauerlicherweise wisse er kein Mittel dagegen, da das einzige ihm bekannte, das darin besteht, daß wir unserer deutschen Industrie einen Zaum anlegen, nicht gut verwendbar sei."

Ohne auf den Stand eines armen Ackerbaulandes zurückzusinken, konnten wir England nicht zum Freund und Gönner gewinnen. Aber ein Mittel zu wesentlicher Verbesserung der Beziehungen bestand in der Schaffung einer deutschen Flotte, welche den Angriff auf den deutschen Handel für England zu einem gewagteren Gedanken machte, als er dies zur Zeit jener Bismarckschen Äußerung war. In diesem Sinn hat die deutsche Flotte trotz verschiedentlichem Versagen der deutschen Politik ihre Aufgabe bis in den Juli 1914 gelöst, und es ist nicht ihre Schuld, daß sie ihren friedebewahrenden Zweck nicht noch besser und länger erfüllen konnte. Es ist für mich schwer verständlich, daß Herr v. Bethmann Hollweg die „sogenannte Flottenpolitik", die er selbst acht Jahre als Kanzler gegengezeichnet hat, auch jetzt noch beschuldigt. Um so schwerer verständlich, als er selbst wie Lichnowsky und andere Sachverständige des Auswärtigen Amtes in den dem Krieg vorangehenden Jahren eine fühlbare Entspannung der deutsch-englischen Beziehungen festgestellt und anerkannt haben, daß der deutsche Flottenbau, je mehr er sich seiner Vollendung näherte, die Verbesserung unseres Verhältnisses zu England mindestens nicht verhindert hat. Der Ausbruch des Krieges aber entsprang nicht einer Verschlechterung der deutsch-englischen Beziehungen; man kann sogar eine besonders tragische Verknüpfung darin sehen, daß Deutschland und England 1914 einander nähergerückt waren, als zur Zeit der deutschen Flottenlosigkeit 1896 oder der deutschen Flottenschwäche 1904, als es Fürst Bülow gelang, die gefährliche Zone zu überbrücken. Die deutsche Flotte hat ihrer Zweckbestimmung gemäß den Frieden beschützt. An dieser klaren Tatsache rütteln heute Interessenten; dazu kommt jener Zug der Selbstvernichtung im deutschen Wesen, der immer gern das Ungünstige glaubt und froh ist, heute als unvernünftig schelten zu können, was gestern vernünftig schien.

Bethmann Hollweg schien mit mir vor dem Kriege darin einig, daß das Flottengesetz, die Grundlage unserer gesamten weltpolitischen Aussichten, unangetastet aufrechterhalten werden müsse. Ich meinerseits war mit dem Kanzler darin einig, daß von unserer Seite alles getan werden müßte, um eine Verbesserung der Beziehungen zu England anzustreben. Ich habe den Kanzler von den ersten Tagen seiner Amtsführung an darin unterstützt, den Engländern in den von ihnen angeregten Einzelfragen entgegenzukommen. Insbesondere habe ich den Kaiser in diesem Sinne beeinflußt und meinerseits nichts unterlassen, um die seit 1908 angeregten Verhandlungen über eine Flottenverständigung im Gang zu erhalten.

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