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England und die deutsche Flotte: Alfred von Tirpitz blickt zurück auf das Flottenwettrüsten (1920)

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Es war seit Übernahme der politischen Leitung durch Bismarck die erste schwere diplomatische Niederlage, die uns um so härter traf, als das tönerne Gebilde unserer damaligen Weltstellung noch nicht sowohl auf Macht, als großenteils auf Prestige ruhte. Bei Delcassés Entfernung (1905) hatte es sich noch als wirksam erwiesen; jetzt aber empfingen wir den Beweis, wieviel davon schon verbraucht war. Wenn wir die Ohrfeige einfach einsteckten, steigerten wir die Kriegsfreudigkeit Frankreichs, seinen „neuen Geist", bedenklich und setzten uns bei der nächsten Gelegenheit einer noch tieferen Demütigung aus. Es war also nicht richtig, die erlittene Abfuhr zu verschleiern, wie die Reichsleitung wünschte, sondern sie offen anzuerkennen und unsere Folgerungen daraus zu ziehen. Für einen Staat, der sich bewußt ist, daß die Wohlfahrt seiner Bürger nicht auf Beschönigungen, sondern auf Macht und Prestige beruht, gibt es in solchen Lagen, wenn er den Krieg vermeiden will, nur ein Mittel, sein Ansehen wiederherzustellen: das ist, zu zeigen, daß er sich nicht fürchtet, und zugleich für die nähergerückte Möglichkeit des Ernstfalles den Schutz vor einer Niederlage zu verstärken. Wir mußten das tun, was Bismarck in ähnlichen Fällen getan hatte, nämlich in aller Ruhe und ohne aufreizendes Beiwerk eine Wehrvorlage einbringen.

Mit diesen Gedanken fuhr ich im Herbst nach Berlin und stellte dem Kanzler vor, daß wir einen diplomatischen Echec erlitten hätten und ihn durch eine Flottennovelle heilen müßten. Der Kanzler bestritt den Echec, über welchen Ausdruck er sich zum Marinekabinettschef sehr gekränkt aussprach, und fürchtete von einer Novelle den Krieg mit England.

Die von mir erwogene Novelle ging nicht auf eine eigentliche Vermehrung unserer Flotte aus, sondern auf die Erhöhung ihrer Kriegsbereitschaft. Ein wunder Punkt unserer Wehrkraft zur See lag in dem allherbstlichen Rekrutenwechsel, der bei unserer kurzen Dienstpflicht die Schlagfertigkeit der Flotte für eine bestimmte Jahresperiode lähmte. Den Weg, um ohne wesentliche Vermehrung der Schiffszahl die Kriegsbereitschaft zu erhöhen, fanden wir in der Aktivierung eines Reservegeschwaders, so daß wir künftig über drei statt zwei stets in Dienst gehaltene Geschwader verfügten.

Durch die hierdurch gewonnene Möglichkeit, die Mannschaften während ihrer Dienstzeit nahezu geschlossen auf demselben Schiff zu belassen, vereinfachten wir nebenbei den mächtig überanstrengten Betrieb der bloßen Bordausbildung und machten das Offizierkorps freier für die zurückgedrängten höheren Aufgaben und für die große Seefahrt. Eine stärkere Schonung der Personalkräfte, die sich vorzeitig in einseitigem Dienst aufrieben, erwies sich insbesondere nötig, um den in höhere Stellen aufrückenden Männern die erforderliche Frische zu bewahren. Diese organisatorische Reform machte baupolitisch ein Mehr von nur drei großen Schiffen binnen zwanzig Jahren notwendig und erzielte mit einer verschwindenden Geldsumme eine Qualitätsverbesserung der Marine.

Kein Kenner der britischen Politik konnte glauben, daß England durch ein Mehr von drei Schiffen in zwanzig Jahren zum Krieg gereizt werden könnte, wenn es nicht ohnehin dazu entschlossen war. Auch unser Botschafter Graf Metternich sah hierin selbstverständlich keine Kriegsgefahr. Trotzdem ist nach langen Verhandlungen mit dem ewig schwankenden Kanzler, in die der Berliner Besuch des englischen Kriegsministers Haldane hereinspielte, aus dem Wunsche der Reichsleitung heraus, der britischen Regierung Entgegenkommen zu zeigen, die Forderung der Novelle von drei auf zwei Schiffe herabgesetzt worden.

Es war nach menschlichem Ermessen die letzte, zugleich die einzige, und zwar höchst unbeträchtliche Erweiterung des Schiffsbestands gegenüber dem Flottenplan von 1900. Denn, wie ich schon bemerkte, hatten wir 1906 nur die Vorlage von 1900 wiederhergestellt und 1908 überhaupt die Schiffszahl nicht vermehrt.

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