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Eine andere Ansicht: Rosa Luxemburg (1913)

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Auch wenn wir die Kriege der letzten 10 bis 15 Jahre betrachten, erkennen wir, wie sich der politische Horizont nach und nach erweitert hat. Man kann, grob gehauen, den Beginn dieser Umwälzung mit dem japanisch-chinesischen Kriege im Jahre 1895 beginnen. Der Krieg zeigte ein Land, das zum erstenmal zur Selbständigkeit erwachte. 1898 folgte der Krieg zwischen Amerika und Spanien, bei dem die Vereinigten Staaten zum erstenmal außerhalb ihres Landes kämpften. Der Burenkrieg von 1899 krönte eine Anzahl stiller Eroberungen, die England dort unten gemacht hatte. Dann kam der Hunnenfeldzug nach China, bei dem Wilhelm II. den Soldaten die Parole mit auf den Weg gab: Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Die Soldaten sollten hausen wie die Hunnen, so daß nach tausend Jahren kein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen. 1904 brach der Krieg zwischen Rußland und Japan aus, dem die russische Revolution folgte, an die sich die Revolution in Persien, in der Türkei und zum Teil in Indien anschloß. Wir haben dann in den letzten paar Jahren eine Reihe zuckender Blitze und Gewitter in China gehabt. Der Streit zwischen Frankreich und Deutschland um Marokko hat den Raubzug Italiens nach Tripolis und dieser wieder den Balkankrieg zur Folge gehabt. Die Triebkraft dieser Kriege ist das Bestreben, die noch nicht vom Kapitalismus erreichten Gebiete aufzuteilen.

Bis vor kurzer Zeit gab es in der Sozialdemokratie ein ganz einfaches Mittel, um zu entscheiden, wie wir uns zu einem Kriege zu stellen haben. Der Angriffskrieg wurde abgelehnt und verdammt, dagegen müsse auch die Sozialdemokratie für den Verteidigungskrieg eintreten. Genosse Bebel, der so viel Ausgezeichnetes, manchmal aber auch, wie jeder Mensch, weniger Ausgezeichnetes gesagt hat, hat ja einmal im Reichstage erklärt, er wolle bei einem Verteidigungskriege trotz seiner alten Tage noch die Flinte auf den Buckel nehmen. Diese Weisung ist schon deshalb nicht brauchbar, weil die Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg unter den Händen zerrinnt oder wie eine Seifenblase zerplatzt. In den Kriegen der französischen Revolution gab die französische Regierung die Kriegserklärungen ab, und doch waren es Verteidigungskriege, die das Werk der Revolution gegen die Reaktion schützten. Der Krieg auf dem Balkan ist formal genommen ein Angriffskrieg gegen die Türkei. Aber die Machthaber der angreifenden Nationen zerfließen in Beteuerungen über die Verteidigung der heiligsten nationalen Rechte und des christlichen Glaubens gegen die Türken, und auch sie haben recht. Daraus haben wir den Schluß zu ziehen, wir als Proletarier haben uns gegen jeden Krieg zu wenden, gleichviel ob Angriffs- oder Verteidigungskrieg. Wir erkennen in ihm eine Folge des Imperialismus, und wie den Imperialismus als Ganzes, so bekämpfen wir auch jede seiner Teilerscheinungen.

Ein Notbehelf in unsrer Taktik ist, daß sich die deutsche Sozialdemokratie auf den Boden des Dreibunds stellt, das heißt, daß sie die Vereinigung der deutschen, österreichischen und italienischen Diplomatie unterstützt. Es ist tief bedauerlich, daß erst vor einigen Wochen, als die neue Militärvorlage im Reichstage verhandelt wurde, Genosse David der Regierung im Auftrage der Fraktion öffentlich erklärte, wir Sozialdemokraten stehen auf dem Boden des Dreibunds, wobei nur der Vorbehalt gemacht wurde, der Dreibund müsse ein braver Knabe sein und für den Frieden wirken. Leider sind wir nicht allein damit geblieben, denn fast am gleichen Tage hat im Wiener Parlament Genosse Renner eine ähnliche Erklärung für die österreichische Sozialdemokratie abgegeben. Vom Dreibund, von einer kapitalistischen Bündnispolitik, die den Krieg vorbereiten soll, erwarten, sie solle für den Frieden wirken, das ist das Beginnen eines Menschen, der vom Distelstrauch Feigen pflücken will Man muß nur einmal die Resultate des Dreibunds betrachten. Seine erste Folge war, daß Frankreich zu der schmachvollen Allianz mit Rußland förmlich getrieben wurde und daß England mit Frankreich und Rußland zu jenem dreieckigen Verhältnis gebracht wurde. Eine andre Folge des Dreibunds sind die ungeheueren Rüstungen Deutschlands gegen Frankreich und Rußland und ebenso die Rüstungen Österreichs. Wo war denn auch der Dreibund, als es galt, den Frieden zu erhalten, als eine Dreibundmacht Tripolis überfiel oder als Österreich Bosnien und die Herzegowina annektierte? Es ist eine alte Binsenwahrheit, daß, wo zwei oder drei kapitalistische Staaten die Köpfe zusammenstecken, es sich immer um die Haut eines vierten kapitalistischen Staates handelt. Welche Naivität gehört dazu, von diesem Bündnis zu erwarten, es sollte eine Gewähr sein für den Frieden. Es gibt ein internationales Bündnis, das sich als einzige Gewähr für den Frieden herausgestellt hat. Das einzige Bündnis, auf das zu rechnen ist, das ist das Bündnis aller revolutionären Proletarier der Welt!

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