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Eine Verfassung für Elsaß-Lothringen (1911)

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1. In die Reichsverfassung wird als Artikel 6 a folgende Vorschrift eingestellt: Solange die Bestimmungen in § 1, § 2 Abs. 1 und § 25 des Gesetzes über die Verfassung Elsaß-Lothringens von [ . . . ] 1911 in Kraft sind, führt Elsaß-Lothringen im Bundesrate 3 Stimmen.

– Die elsaß-lothringischen Stimmen werden nicht gezählt, wenn die Präsidialstimme nur durch den Hinzutritt dieser Stimmen die Mehrheit für sich erlangen oder im Sinne des Artikel 7 Abs. 3 Satz 3 den Ausschlag geben würde. Das Gleiche gilt bei der Beschlußfassung über Änderungen der Verfassung. Elsaß-Lothringen gilt im Sinne des Artikel 6 Abs. 2 und der Artikel 7 und 8 als Bundesstaat.

2. § 25 des Entwurfs eines Gesetzes über die Verfassung Elsaß-Lothringens erhält folgende Fassung:

Die Bevollmächtigten Elsaß-Lothringens zum Bundesrat werden vom Statthalter ernannt und instruiert.

Zur Erläuterung dieses Vorschlags sei das Nachstehende bemerkt:

Wenn in der Gesetzesvorlage davon abgesehen wurde, Elsaß-Lothringen eine Vertretung im Bundesrat einzuräumen, so war hierfür die Besorgnis maßgebend, daß jede Verleihung von Bundesratsstimmen eine Verschiebung der Machtverhältnisse, wie sie Artikel 6 der Reichsverfassung regelt, herbeiführen müßte und daß insbesondere eine Vermehrung des preußischen Einflusses eintreten werde. Um letzteres zu vermeiden, gleichzeitig aber Elsaß-Lothringen Stimmrecht im Bundesrat zu geben, wollen die Zentrumsanträge die Stellung des Statthalters so gestalten, daß diese nicht mehr die eines Vertreters des Kaisers im Reichslande, sondern vielmehr die eines lebenslänglichen Präsidenten einer Republik würde. Aus diesen Schwierigkeiten dürfte der Vorschlag, den das Königlich Preußische Staatsministerium mit Allerhöchster Genehmigung im Interesse des Zustandekommens der elsaß-lothringischen Verfassungsreform zu machen sich entschlossen hat, für die Gesamtheit der nichtpreußischen Regierungen einen befriedigenden Ausweg bieten.

Daß Elsaß-Lothringen bei Verfassungsänderungen kein Stimmrecht haben soll, findet seine Rechtfertigung darin, daß es an der Vereinbarung der Bundesverfassung nicht teilgenommen hat und nicht Bundesmitglied ist. Soweit die Präsidialmacht nach den Artikeln 5 und 37 der Reichsverfassung ein Vetorecht hat, kommt den elsaß-lothringischen Stimmen keine Bedeutung zu. Es wird hiernach die vorgeschlagene Einführung des Stimmrechts eine materielle Bedeutung für alle diejenigen Angelegenheiten haben, in denen die Beschlüsse des Bundesrats mit einfacher Mehrheit gefaßt werden. Nach dem gegenwärtigen Recht gibt die Präsidialmacht den Ausschlag, auch wenn sie nicht die Mehrheit, sondern nur 29 Stimmen für sich hat, also Stimmengleichheit besteht (Art. 7 Abs. 3 Satz 3 der Verfassung), während ein von ihr ausgehender oder unterstützter Vorschlag nur abgelehnt ist, wenn mindestens 30 Stimmen dagegen abgegeben werden. Durch Einführung von 3 elsaß-lothringischen Stimmen würde dies Verhältnis geändert werden, da alsdann bei Abgabe sämtlicher Stimmen eine Stimmengleichheit nicht mehr vorkommen kann und die Mehrheit 31 Stimmen betragen wird. Preußen müßte also in Zukunft, um mit seiner Meinung durchzudringen, zwei Stimmen mehr für sich gewinnen als bisher, während ein von ihm gemachter oder unterstützter Vorschlag zu Falle gebracht werden würde, wenn nur eine Stimme mehr als bisher dagegen in die Waagschale geworfen würde. Um auszuschließen, daß die Präsidialmacht durch Beeinflussung der elsaß-lothringischen Stimmen eine sonst nicht mögliche Majorisierung der zur Minderheit gehörenden Regierungen ausübt, sollen die elsaß-lothringischen Stimmen nicht gezählt werden, wenn Preußen nur mit ihnen den Ausschlag geben könnte. Ob sie für oder gegen die preußische Meinung abgegeben werden, wird bei Abgabe sämtlicher Stimmen, wie sich aus der anliegenden Tabelle ergibt, nur von Erheblichkeit sein, wenn die Stimmen 31:30 stehen. Die praktische Folge dieser Regelung würde sein, daß die elsaß-lothingischen Stimmen zwar den nichtpreußischen Bundesstaaten zur Bildung einer Majorität gegen die Präsidialmacht, nicht aber dieser selbst für eine Mehrheitsbildung zur Verfügung stehen. Sie können nur den Ausschlag geben, wenn sie gegen die preußische Meinung abgegeben werden. Die mit den angegebenen Kautelen geregelte Einführung von 3 Stimmen für Elsaß-Lothringen läuft daher lediglich auf eine Minderung des Einflusses der Präsidialmacht hinaus.

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