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Ein Polizeibeamter beschreibt das Verhalten von Arbeitern in einer Hamburger Taverne (1898-1909)

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III. 25. Mai 1909

Von 8.15 bis 8.45 Uhr besuchte ich die Wirtschaft von Appelhoff, Schwabenstraße Nr. 54. In dieser waren zur Zeit sechs Arbeiter anwesend, welche sich über die Nachteile unterhielten, die durch die Streiks für die Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer entstehen. Darüber sagte einer von diesen Leuten folgendes: «Die Streiks haben bis jetzt vor allen Dingen nur Nachteile gebracht, und zwar für die Unternehmer wie für die Arbeiter. Ich will nun nur den jetzigen Streik der Betonarbeiter anführen. Die Unternehmer müssen sich Arbeiter von auswärts kommen lassen, natürlich unter allen möglichen Versprechungen. Sie müssen vor allen Dingen den Streikbrechern den alten Lohn zahlen; denn für Kost und Logis aufkommen, das macht doch für sie mehr Unkosten aus, als wenn sie den alten Arbeitern die paar Pfennige pro Tag bewilligt hätten. Für die Streikenden entstehen die Nachteile dadurch, daß sie die Streikkasse in Anspruch nehmen müssen. Diese zahlt aber nicht den üblichen Lohn, und sie verfallen dadurch immer mehr in Schulden. Und wenn der Streik beendet ist und die Streikenden haben tatsächlich ein paar Pfennige mehr herausgeschlagen, so kommen dann die erhöhten Beiträge an die Streikkasse und dann die Schuldentilgung, und sie haben nach dem Streik auch nicht mehr wie vorher.»

Dazu sagte ein anderer folgendes: «Wenn der Klassenhaß nicht da wäre, dann hätten wir auch keine Streiks. Aber solange dieser Klassenhaß bestehen wird, werden auch die Streiks immer wieder kommen, und es wird nicht eher anders, bis das Arbeitervolk sich so viel emporgearbeitet hat, daß es sich vor den kapitalistischen Ausbeutern nicht mehr beugen braucht.»


Quelle: Szymanski, 25. Mai 1909. Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (Signatur: S 3930).



IV. 7. März 1903

Von 9.55-10.35 Uhr wurde die Wirtschaft von Ellerbroock, Hamburgerstraße 134, besucht. Daselbst waren circa 14 Arbeiter anwesend, die sich an verschiedenen Tischen unterhielten. Ein Arbeiter sagte: «Die Taktik der Arbeiter im wirtschaftlichen Kampf muß selbst von Leuten, die Gegner der Gewerkschaften sind, als eine geradezu musterhafte anerkannt werden, denn es ist eine bekannte Tatsache, daß die Streiks von organisierten Arbeitern nicht mit der Erbitterung geführt werden als solche Streiks, wo die Arbeiter nicht organisiert sind und die Gewerkschaften keinen Einfluß auf diese Arbeiter haben. Das Gegenteil von dieser Tatsache behaupten natürlich die Unternehmer, was ja auch ganz erklärlich ist, weil sie recht gut wissen, daß eine gut organisierte Gewerkschaft unter allen Umständen ihre Forderungen durch einen Streik durchzudrücken imstande ist. Was vielen Streiks Schaden bringt, ist, daß die Behörden in ganz ungerechter und unverantwortlicher Weise zugunsten der Unternehmer einschreiten und so den Kampf erschweren und eine Schlichtung schwebender Streitfragen systematisch verhindern. Durch das Eingreifen der Behörde in den wirtschaftlichen Kampf kommt es leider in den Reihen der organisierten Arbeiter auch vor, daß von dieser Stunde an Erbitterung unter die Arbeiter kommt und spielen sich dann eben solche Szenen ab wie im vergangenen Jahre während des Bauarbeiterstreiks. Die Schuld wird dann ja natürlich den Streikenden in die Schuhe geschoben und nicht der Behörde, die durch ihre Maßnahmen die Veranlassung dazu gab.»

Ein anderer Arbeiter sagte: «Die Erfahrung hat gelehrt, daß überall da, wo ein Einschreiten der Behörde während des wirtschaftlichen Kampfes nicht erfolgte, eine bedeutend ruhigere und raschere Beilegung der Differenzen erfolgte. Diese Tatsache ist nicht von den Arbeitern allein, sondern von maßgebenden Persönlichkeiten, den Gewerbe- und Fabrikinspektoren, festgestellt worden. Wie in Deutschland ja überhaupt alles, was die organisierten Arbeiter tun, staatsgefährlich ist, ist von Kennern im Ausland die deutsche Gewerkschaftsbewegung nur ein Urteil, und zwar das denkbar beste vorhanden. Leider muß es gesagt werden, daß die hochentwickelte deutsche Arbeiterschaft als ein Vorbild in der Welt dastehen könnte, wenn man in ihren Kreisen mehr Interesse der Gewerkschaftsbewegung entgegenbringen möchte. Kein Arbeiter dürfte außerhalb der Organisation stehen, dann würde die Lebenshaltung der deutschen Arbeiter eine bessere sein. Was die Taktik der Arbeiter im wirtschaftlichen Kampf anbelangt, so kann man nur der Meinung sein, daß sie nicht aus so unlauteren Motiven entspringt wie die der Unternehmerklasse, denn diese hat für die Arbeiter nichts übrig, das beweisen schon allein die häufigen Maßregelungen, welche an Arbeitern vorgenommen werden.»


Quelle: Graumann, 7. März 1903. Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (Signatur: S 3930).

Berichte abgedruckt in Richard Evans, Hg., Kneipengespräche im Kaiserreich. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1989, S. 234-35, 237-40.

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