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„Sylvesterbrief” des Reichskanzlers Bülow (31. Dezember 1906)

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Die Abstimmung vom 13. Dezember* war ein Schlag gegen die verbündeten Regierungen und die nationale Würde. Ich arbeite mit jeder Partei, welche die großen nationalen Gesichtspunkte achtet. Wo diese Gesichtspunkte mißachtet werden, hört die Freundschaft auf. Niemand in Deutschland will ein persönliches Regiment. Die große Mehrheit des deutschen Volkes will aber erst recht kein Parteiregiment.

Obgleich es ferner keinen Staat gibt, der mehr für Gegenwart und Zukunft der Arbeiter, für ihre materiellen und geistigen Bedürfnisse getan hätte, als das Deutsche Reich, obgleich die deutschen Arbeiter die bestgebildeten der Welt sind, halten doch Millionen bewußt oder als Mitläufer zu einer Partei, die den Staat und die Gesellschaft von Grund aus umwälzen will. Von solchem Druck muß das deutsche Volk sich frei machen. Der liberale Städter und Landmann ist daran nicht weniger beteiligt als der konservative.

Mögen die Verhältnisse in den einzelnen Wahlkreisen noch so große Verschiedenheiten aufweisen, die Parteien, die am 13. Dezember an der Seite der Regierung standen, werden von vornherein im Auge behalten haben, was sie damals einigte: Der Kampf für Ehr und Gut der Nation gegen Sozialdemokraten, Polen, Welfen und Zentrum.

Ich stelle die Sozialdemokraten voran, weil jede Niederlage der Sozialdemokratie eine Warnung für ihren blinden Übermut, eine Stärkung des Vertrauens in den ruhigen Fortschritt unserer inneren Entwickelung und eine Befestigung unserer Stellung nach außen wäre, und weil dadurch zugleich die Möglichkeit erschwert würde, daß eine bürgerliche Partei mit Hilfe der sozialdemokratischen eine dominierende Stellung gegen die anderen bürgerlichen Parteien einnimmt.



* Ablehnung der Regierungsvorlage betreffend die Mittel für den Kampf in Deutsch-Südwestafrika. Information aus: Ernst Rudolf Huber, Hg., Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 1961. Band 2, S. 437.


Quelle: Eduard von Liebert, Aus einem bewegten Leben: Erinnerungen. München, 1925, S. 180-81.

Abgedruckt in Ernst Rudolf Huber, Hg., Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. 2 Bände, Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 1961. Band 2, S. 436-38.

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