GHDI logo

Das Reichsmarineamt und die öffentliche Meinung (24. September 1900)

Seite 3 von 8    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Ein ganz zutreffendes Bild davon, wie weit der Flottengedanke in die Masse eingedrungen ist, kann man sich schwer machen. Im Großen und Ganzen ist die Masse noch nicht erfaßt. Erfahrungsmäßig gehört auch eine beträchtliche Zeit dazu, ehe die kleine Presse für derartige neue, ihr unbekannte Materien genügend interessiert ist und ehe sie ihren Einfluß auf die Bevölkerung ausübt.

Man darf vielleicht dahin resumieren, daß allem Anschein nach durch die Agitation in agrarischen Kreisen leider die Abneigung gegen die Flotte bestärkt, in gewerblichen und industriellen Kreisen dagegen zurückgegangen ist. Das letztere gilt auch von manchen Arbeitskreisen, ausgenommen natürlich die ganz zielbewußten Sozialdemokraten.

Mit großem Erfolge ist – wie aus allerlei kleinen Anzeichen zu schließen ist – in kleinerem Maßstabe bisher unternommene Agitation unter der jüngeren Generation gewesen.

In Summa läßt sich sagen, daß die ganze Flottenbewegung, wie dies auch immer vorausgesagt war, eine ganz bestimmte volkseinende Kraft entwickelt und gezeigt hat, die bei etwaigen Neuwahlen nicht ohne Bedeutung gewesen wäre. Leider ist dieses Moment dadurch nicht voll zur Wirkung gekommen, daß gleichzeitig mit dem Flottengesetz – beabsichtigter oder unbeabsichtigter Weise – eine Reihe von anderen Gesetzen (Fleischschaugesetz, lex Heinze) die öffentliche Meinung beschäftigte, die ihrer Art nach geeignet waren trennend zu wirken.

[ . . . ]

Ausblicke
Von der nächsten innerpolitischen Zukunft läßt sich vielleicht das Folgende voraussagen:

Die parlamentarischen Kämpfe und die sich daran anschließende oder vorausgehende Volksbewegung haben in der nächsten Zeit als Mittelpunkt den Neuabschluß der Handelsverträge.

Das parlamentarische und politische Leben wird sich hierbei zum Teil zu einem Kampfe zwischen Agrariertum und Industrialismus zuspitzen. Das Interesse an der Flotte selbst wird dann zeitweilig zurücktreten. Es wird sich aber kaum vermeiden lassen, daß die starke Betonung der wirtschaftlichen Interessen, die zur Zeit der Flottenkampagne das beste Argument der Flottenfreunde bildeten, zur Zeit der Debatten über die Handelsverträge weiter ausgenutzt werden wird. Seeinteressen und agrarische Bestrebungen werden dadurch erneut in Gegensatz zueinander gebracht und der Flottengedanke wird im agrarischen Lager an Boden nicht gewinnen.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite