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Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft (1887). Vorrede zur 2. Auflage (1912)

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Die hier vorgelegten Begriffe des sozialen Lebens konnten, obwohl durchaus neu in ihrer Fassung, der Nationalökonomie nicht als schlechthin fremdartig erscheinen. Durch die Gegensätze von Natural- und Geldwirtschaft und manche damit verwandte Begriffe waren sie vorbereitet. Die beiden Führer der deutschen Wissenschaft, Schmoller und Wagner, haben sich in eingehender Weise, von ihren weit auseinander liegenden methodologischen Gesichtspunkten, mit dieser Schrift auseinandergesetzt. Immer mehr ist der Rationalismus und die rationale Mechanisierung der Produktion, ja der „Welt", als unterscheidendes Merkmal der ganzen neuzeitlichen Epoche anerkannt und mehrfach in bedeutenden Darstellungen entwickelt worden.

Von den seltsamen Erfahrungen, die der Verfasser bei diesen Gelegenheiten machen mußte, wird vielleicht an anderer Stelle zu reden sein. Mit Genugtuung darf er aber auf die wachsende Aufmerksamkeit zurückkommen, die dieser Schrift während der letzten 12 Jahre zu Teil geworden ist. Wenn Werner Sombart sie „epochemachend", Franz Eulenburg das „tiefe Werk" genannt, wenn David Koigen, ein russischer Soziologe, von dem „klassischen Traktat" gesprochen hat, so waren das Auszeichnungen, die den Verfasser nur umsomehr der Mängel des Buches bewußt machten; und er wünscht, daß er in der Lage gewesen wäre, diesen Mängeln gründlicher als es in der vorliegenden neuen Ausgabe geschehen ist, abzuhelfen. Jedenfalls sind es Zeugnisse, die im Verein mit den früheren den Verfasser ermutigen durften, das Buch nochmals der Welt zu übergeben. Dabei hat er sich, ohne den Kern und Gehalt antasten zu wollen, bemüht, im einzelnen vieles zu verbessern, wenn auch zumeist nur in der Ausdrucksweise und Schreibart; indessen sind auch nicht wenige Reihen gestrichen, mehrere Zusätze gemacht worden. Solche Zusätze, die auch neue Gedanken-Elemente enthalten, sind als „Zusatz 1911" oder „Zusatz 1912" kenntlich gemacht worden. Daß aber manches in dem Buche steht und stehen bleiben mußte, was der Verfasser heute nicht so schreiben würde, wird jeder, der auf eine lange schriftstellerische Erfahrung zurückblickt, leicht verstehen.

Wenn das Buch von ausgezeichneten Autoren anerkannt wurde, so ist es von anderen geflissentlich ignoriert, redlich (aber auch unredlich) totgeschwiegen worden. Umsomehr werde das besondere Verdienst hervorgehoben, das Herr Dr. August Baltzer durch eine kleine Monographie (Berlin 1890), die aus genauer Kenntnis und richtigem Verständnis hervorgegangen ist, um das Werk und dadurch um den Verfasser frühzeitig sich erworben hat. — Mit Dank werde auch der Hilfe gedacht, die jetzt Herr Dr. Marcard und Herr Dr. Gerlach bei Aufstellung des Index geleistet haben.

F. T.



Quelle: Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft: Grundbegriffe der reinen Soziologie, Vorrede zur 2. Auflage. Berlin, 1912, S. VI-XVI.

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