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Julius Langbehn, Rembrandt als Erzieher (1890)

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eine äußere Bestätigung für den exzentrischen Charakter der Deutschen, daß ihr nationalster Künstler ihnen nur innerlich, nicht auch politisch angehört; der deutsche Volksgeist hatte sozusagen den deutschen Volkskörper aus den Fugen getrieben. Das muß jetzt anders werden; Geist und Körper, im Volk wie im einzelnen, sollen sich wieder zusammenfinden. Der Riß, welcher durch die moderne Kultur geht, muß sich wieder schließen. Und nur eine lebendige Menschengestalt, gleich Curtius in den Abgrund gestürzt, kann ihn schließen; Rembrandt ist ein solcher Mensch. Seine Persönlichkeit, in ihrer völligen Ungezwungenheit und Überindividualität, erscheint als ein wirksames Gegengift gegen das deutsche Schulmeistertum, welches schon so viel Unheil anrichtete. Dieser Mann paßt in keine Schablone; er spottet aller Versuche, ihn auf irgendein gelehrtes Prokrustesbett zu legen. Akademische Programme und Schulformeln lassen sich nicht auf ihn münzen, wie auf Rafael und andere; er bleibt, der er ist: Rembrandt.

Vielleicht neigt der Deutsche nur deshalb so sehr zur Regel, weil sein Charakter von Haus aus ein regelloser ist; er strebt nach Korrektur, nach Ergänzung; aber er sollte eine solche Ergänzung mehr in sich als außer sich suchen; er sollte sich von den Fehlern seines Individualismus reinigen, indem er einen gesunden Individualismus zum Prinzip erhebt. Dadurch wird er seine Natur festigen und einschränken, ohne sie zu mindern oder zu schädigen. Er braucht Bildungstypen, aber nicht Bildungsschablone; denn ein Typus formt sich von innen nach außen, eine Schablone aber von außen nach innen; das ist ein grundlegender Unterschied. „Eines schickt sich nicht für alle." Wie die griechischen Künstler in dem Kanon des Polyklet eine aus dem Volke selbst geschöpfte Normalfigur hatten, deren Maßen sie durchweg ihre Bildwerke anpaßten und denselben dadurch jenen Charakter des Ruhigen und Gleichmäßigen und Harmonischen gaben, welcher einen Hauptvorzug der griechischen Kunst bildet; so hat umgekehrt der deutsche Künstler und der deutsche Mann in einer Gestalt wie Rembrandt ein Muster des Bewegten und Ungleichartigen, des individuell Veranlagten vor sich, welches den Grundzug des deutschen Charakters und damit auch der deutschen Kunst bildet. Beide verhalten sich zueinander, wie der homophone zum polyphonen Gesang. Denn die Aufgaben der Völker sind verschieden; Konkordanz ist der Beruf der einen, Diskordanz der Beruf der anderen; jenes Los ist den Griechen, dieses den Deutschen gefallen; jene sind konzentrisch, diese exzentrisch angelegt. Und niemals ist wohl schöner der rastlose deutsche Geist dem ruhigen antiken Geist entgegengesetzt worden, als in dem tiefdeutschen Spruch Hölderlins: „Wir sind nichts; was wir suchen, ist alles". Wenn man ihn mit dem aus der tiefsten Tiefe des griechischen Geistes geschöpften Begriff der olympischen Ruhe und Selbstgenügsamkeit vergleicht, so macht sich dieser Gegensatz noch deutlicher fühlbar; „wir suchen nichts; was wir sind, ist alles" hätten die Griechen sagen können.

Um den Weg zur Wahrheit zurückzufinden; brauchen sich die Deutschen nur auf sich selbst zu besinnen: „das nenne ich ein deutsches Aussehen, stark, wohlerzogen und fein", hat Rahel gesagt. Götter und Menschen, Dichter und Propheten, Mann und Weib rufen dem Deutschen zu: sei deutsch! Die Deutschen, als Volk genommen, sind nunmehr stark; aber „wohlerzogen" nur teilweise und „fein" noch weniger. Denn ihre Bildung ist unecht, und das Unechte ist nie fein. Wer das unschätzbare Gut seiner Individualität für den Flitter einer falschen Bildung hingibt, ist nicht klüger als der Neger, welcher sein Land und seine Freiheit für eine Flasche gefälschten Rums und einige Glasperlen verkauft. Stark, wohlerzogen und fein — ist der Charakter der Bachschen Musik; an ihr und zu ihr sollen sich die Deutschen hinausbilden; stark wohlerzogen und fein — ist der Gehalt der Rembrandtschen Malerei; in sie sollen die Deutschen sich versenken. Das „wohltemperierte Klavier", welches der eine und die sorgsam entwickelte Skala des „Helldunkels", welche der andere hinterließ, sind höchste Bildungsmittel; sie sind es im eigentlichen wie im uneigentlichen, im fachkünstlerischen wie im menschlichen Sinne; sie sind es im deutschen Sinne.

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