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Thomas Mann, Ein Nachwort zu Buddenbrooks (1905)

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Welche Bewandtnis? Ich weiß sehr wohl, daß es in Lübeck Leute gibt, welche in mir den berüchtigten Vogel sehen, der sein eigenes Nest beschmutzte. Sie tun unrecht, sie denken unrecht, — ich weiß nicht, wobei ich es ihnen schwören soll denn sie glauben nicht, daß mir irgend etwas heilig sei. Wenn ich als Lübecker und Angehöriger einer lübeckischen Familie sprechen soll, so kann ich sagen: Ich habe zu Ehren meiner Vaterstadt und meiner Familie auf meine Art ebenso viel getan wie mein Vater, der vielleicht in Lübeck noch nicht vergessen ist, auf seine Art getan hat. Ich habe in hunderttausend Deutschen Teilnahme für lübeckisches Leben und Wesen geweckt, ich habe die Augen von hunderttausend Menschen auf das alte Giebelhaus in der Mengstraße gelenkt, habe gemacht, daß hunderttausend Menschen es als eine interessante Lebenserinnerung betrachten würden, wenn sie Gelegenheit hätten, die Urbilder der in meinem Buche wandelnden Gestalten persönlich kennenzulernen, und es ist gar nicht ausgeschlossen, daß man in Deutschland an diesen Gestalten noch seine Freude haben wird zu einer Zeit, wenn wir alle, die Urbilder und ich selbst, längst nicht mehr zu den Lebenden gehören.

Es wird meinen Landsleuten schwerfallen, das zu glauben. Sie werden denken: ›Es ist doch nicht möglich, daß der kleine Thomas Mann, der unter uns herumlief und in der Schule so ungewöhnlich faul war und nicht gut tun wollte, ein Dichter ist, ein ordentlicher, nicht nur wie Bilse, sondern einer, der in die Literaturgeschichte kommt.‹ Vielleicht ist es nicht möglich. Aber wenn man mich in Lübeck nicht für einen Dichter hält, so brauchte man mich deshalb dort noch nicht für einen Ehrabschneider und Heimatschänder zu halten. Ohne Familien- und Heimatsinn, ohne Liebe zu Familie und Heimat werden Bücher wie ›Buddenbrooks‹ nicht geschrieben; und wer mich kennt, wer gewisse Arbeiten von mir gelesen hat, die auf dieses Buch folgten, der weiß, wie tief ich, trotz aller Künstler-Libertinage, ein Lübecker Bürger geblieben bin.

Ich grüße die Heimat von Herzen. Sie soll nicht so schlecht von mir denken!



Quelle: Thomas Mann, „Ein Nachwort zu Buddenbrooks“ (1905), in Thomas Mann, Reden und Aufsätze. Frankfurt am Main, 1965, S. 714-17.

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