GHDI logo

Protestantische Theologie aus katholischer Sicht (1902)

Seite 3 von 3    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Die Kirche ist keine Anstalt für Wissenschaft, sondern für ein göttliches Leben. Ihre erste Anforderung ist die eines lebendigen Glaubens an das, was man nicht sieht, an die himmlische, die jenseitige Welt, an ihre Heilsgüter und an die Verpflichtung, die sie auferlegt.

In demselben Atem heißt es aber auch wieder:

Es ist geradezu das unterscheidende Kennzeichen protestantischen Geistes, daß auch die heiligste Ueberlieferung der immer erneuten wissenschaftlichen Prüfung nicht bloß unterzogen werden darf, sondern von dem dazu Befähigten unterzogen werden soll.

Das ist ein vollkommener Widerspruch, der durch keine Dialektik ausgeräumt werden kann. Die Herren möchten es mit zwei grundverschiedenen Prinzipien, mit zwei sich diametral entgegenstehenden Anschauungen halten, ähnlich wie man von dem früheren Finanzminister v. Miquel gesagt hat, wenn große Gegensätze aufeinanderplatzten, halte er es am liebsten mit — beiden Parteien. So taumelt der moderne Protestantismus zwischen Autorität und Anarchie hin und her; den „Römischen“ gegenüber beruft er sich auf seine „freie Forschung“ und den Ungläubigen gegenüber auf das „Bekenntnis der Kirche“. Wie er aber mit sich selber in Zwiespalt ist, so muß er auch mit aller Welt in Zwiespalt kommen; er weiß den trostbedürftigen Herzen, die sich an ihn wenden, nichts Positives zu bieten und ist andererseits, um seine selbständige Existenz als „Kirche“ zu dokumentieren, gezwungen, mit der „voraussetzungslosen Wissenschaft“ im Kampfe zu leben. Daher wird sich an ihm das Schicksal aller Halbheiten bewähren: er wird zwischen den Mühlsteinen von links und rechts zermalmt werden. Er hat keinen Boden mehr in den breiten Massen des Volkes, die etwas Positives wollen und nach einer festen Autorität verlangen, und lebt zugleich in Konflikt mit der modernen Philosophie, die nichts als gegeben anerkennt, was nicht der menschliche Verstand selbst konstruiert hat.



Quelle: Phillip Huppert, „Die moderne Hof- und Unionstheologie“, Der deutsche Protestantismus zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Köln, 1902, S. 25-29.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite