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Elisabeth Flitner, „Auf dem Katheder brannte frühmorgens eine Kerze” (Rückblick)

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An jedem Morgen kam die Waschfrau. Wir Kinder schwatzten mit ihr durchs Kellerfenster, sahen ihr zu, wie sie hinten im Keller unter dem kupfernen Waschkessel Holz einlegte, wie sie die schweren eisernen Wäschestangen im Garten in die Löcher stellte und die Leine zog, und reichten ihr die Klammern zu, am Vormittag für die Weißwäsche, am Nachmittag für die Buntwäsche. Wir saßen bei ihr, wenn sie in der Küche ihren Kaffee trank und ein dick bestrichenes Schmalzbrot dazu aß. Stets sagte sie beim Abschied: »Schönen Dank auch.« Einmal fragte die Mutter, wofür sie sich denn bedanke, worauf sie antwortete: »... daß man wieder einen Tag seine Arbeit gehabt hat.«

Schon als Kinder wurden wir häufig zum Kaufmann, dem Kolonialwarenhändler, geschickt. Es sah dort genauso aus wie in den Puppenstuben, die heute in den Museen stehen. Die Wand hinter der Theke bestand aus großen Schubkästen mit Aufschrift wie Reis, Kaffee, Mehl: in Fässern sah man Gurken und Heringe, in Säcken Kartoffeln, in Töpfen Honig, Schmalz und Pflaumenmus. Alle Ware wurde auf der Waage abgewogen, auch Salz, Butter, Öl oder Honig. Man konnte für fünf Pfennig Rosinen kaufen und für zehn Pfennig Sauerkraut, sogar für einen oder zwei Pfennig eine kleine spitze Tüte mit Bonbons.

Eine Person war immer da: Aenne, die Kinderfrau. Sie zog uns an und brachte uns zu Bett. Sie bürstete geduldig unser verwirrtes Haar und übergoß uns abends mit kaltem Wasser, was ich fröstelnd und zitternd, meine robustere jüngere Schwester prustend und lachend hinnahm. Sie verband unser blutendes Knie, drückte einen Löffel gegen unsere Stirn, wenn wir gefallen waren, um Beulen zu verhindern, machte uns Halsumschläge, ging mit uns spazieren und erzählte uns unermüdlich Geschichten von armen Mädchen und verlaufenen Prinzessinnen. Sie betete mit uns und schlief bei uns. Aenne war bei meiner Geburt zu uns gekommen und blieb bis zu meinem Eintritt in die Schule. Dann ging sie zu Kindern eines Rechtsanwalts, bekam dort ein unheizbares Dachstübchen, wurde krank und starb an Tuberkulose.

Das bunte Treiben in Haus und Küche verfolgten wir mit Neugier. Doch ist es nur der Hintergrund für das Bild der Eltern, wie es mir vor Augen steht. Nach Herkunft, Natur und Bildung waren sie einander extrem entgegengesetzt.

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