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Ernst Goldmann über die Rechtsstellung der Frau und das Züchtigungsrecht in der Ehe (1904)

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II. Um das Züchtigungsrecht des Ehemannes (1904)

In weiten Kreisen, selbst in den Kreisen der Gebildeten ist die Meinung verbreitet, daß dem Ehemann auch heute noch das Recht zustehe, die Frau in den Grenzen der Mäßigung zu züchtigen. Dem Verfasser ist diese Meinung an verschiedenen Orten und von Personen verschiedener Volkskreise entgegengebracht worden. Vor einiger Zeit wandte sich eine Lehrerin an die Redaktion dieser Zeitschrift und bat um Ratschläge, wie einer von ihrem Manne unaufhörlich mißhandelten Arbeiterfrau zu helfen sei; auch sie war der Ansicht, daß es dem Ehemann gesetzlich gestattet sei, seine Frau zu schlagen. Man muß aus solchen Erfahrungen schließen, daß der Glaube an das Züchtigungsrecht des Mannes noch sehr viele Anhänger hat und daß eine Menge von Frauen sich schweigend eine Behandlung gefallen lässt, die keine Rechtfertigung in den Gesetzen findet. Deshalb ist es nicht überflüssig und wird hoffentlich zur Aufklärung in weiten Kreisen beitragen, wenn wir hier einmal die Tatsache feststellen, daß nach dem heute in ganz Deutschland geltenden Rechte der Ehemann nicht befugt ist, seine Frau zu schlagen oder sonstige Zuchtmittel gegen sie anzuwenden, auch nicht in den Grenzen der Mäßigung. Unser Bürgerliches Gesetzbuch enthält keinen Satz, aus dem ein Züchtigungsrecht des Mannes herzuleiten wäre. Aus den §§ 1352 folg. ist vielmehr zu entnehmen, daß die deutsche Ehefrau als ebenbürtige, prinzipiell gleichberechtigte Persönlichkeit neben dem Mann steht. Dem Manne ist zwar in den das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten das Recht der Entscheidung eingeräumt, und in diesen Grenzen muß sich die Frau dem Willen des Mannes fügen. Aber sie ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sie sich als ein Mißbrauch seines Rechts darstellt, und keinesfalls darf der Mann einen körperlichen Zwang anwenden, um seinen Willen durchzusetzen. Von Zuchtmitteln, wie sie den Eltern gegenüber dem Kinde zustehen, kann bei den Ehegatten schon deshalb nicht die Rede sein, weil der Ehemann nicht der Erzieher der Ehefrau ist. Auch dann also, wenn sich die Frau den Wünschen und Anordnungen des Mannes widersetzt, wenn sie ein unordentliches Leben führt oder in anderer Weise ihre Ehepflichten verletzt, hat der Mann nicht das Recht sie zu schlagen. Jede Tätlichkeit des Mannes gegen die Frau ist eine Rechtsverletzung; der Körper und die Ehre der Ehefrau stehen geradeso unter dem Schutz der Gesetze wie die Körper und die Ehre aller anderen Menschen. Deshalb kann die Frau, welche von ihrem Manne geschlagen worden ist, seine Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung oder tätlicher Beleidigung fordern. Solche Strafanträge werden leider nur sehr selten gestellt und auch dann nur in Fällen, wo schon fortgesetzte und geradezu unerträgliche Mißhandlungen stattgefunden haben: die Frau muß ja die Rache des Mannes fürchten, wenn er auf ihre Anzeige hin bestraft worden ist. Fänden solche Bestrafungen häufiger statt, so würde sich das Los vieler Frauen besonders in den unteren Volksschichten bedeutend bessern. Vielleicht wird aber schon die Aufklärung darüber, daß der Mann kein Recht hat die Frau zu schlagen und daß er sich strafbar macht, wenn er es dennoch tut, zu einer Verminderung der in Stadt und Land leider noch so häufigen Misshandlungen führen. Darum möge es jeder als seine Pflicht betrachten, die Fabel von dem Züchtigungsrechte des Ehemanns recht gründlich zu zerstören!



Quelle: Ernst Goldmann, „Das Züchtigungsrecht des Ehemannes“, in Die Frau: Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit, 11 (1904), S. 461-62.

Beide Texte sind abgedruckt in Jens Flemming, Klaus Saul und Peter-Christian Witt, Hg. Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871-1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, S. 105-07.

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