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Konsumkultur: Berliner Warenhäuser (1908)

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Ich habe einmal irgendwo eine Karikatur gesehen, das moderne Warenhaus als Ventilator, in dessen weitgeöffneten Rachen groß und klein, alt und jung, Männlein und Weiblein verschwand, dessen Saugkraft alle in sich hineinzog. Das Bild hatte viel Überzeugendes, auch nach der edlen Seite hin. Ich will hier nicht die Vorteile und Schattenseiten der Warenhausidee gegeneinander abwägen, ich schreibe weder eine nationalökonomische Abhandlung noch eine wirtschaftspolitische Polemik, möchte aber nicht unerwähnt lassen, daß meines Erachtens nach die Großwarenhäuser Berlins ein gut Teil mitbestimmend auf die Entwicklung der Spreemetropole zur Weltstadt gewirkt haben.

Überall da, wo Warenhauspaläste entstanden, begann sich bald in naturgemäßer Folge ein überaus reger Verkehr zu entwickeln. In weiser Erkenntnis dieses zunehmenden Geschäftsverkehrs siedelten sich, die alte Ammenmär von der naturgeborenen Zerstörungskraft des Warenhauses auf das Spezialgeschäft Lügen strafend, Spezialgeschäfte der verschiedensten Branchen an, ihre Fassaden modern ausbauend, in Form und Inhalt das Beste vom Warenhause auf ihren Betrieb übertragend.

Ein Exemplum aus allerletzter Zeit. Die Tauenzien- und Kleiststraße im Westen Berlins, ein Boulevard für flirtende Backfischlein, Tummelplatz von Kinderwagen schiebenden Spreewälderinnen und Bonnen, noch vor wenigen Jahren eine vornehme Wohnstraße im eleganten Westen.

Ein Häuserkomplex wurde aufgekauft, kaum entstandene Wohnpaläste fielen der Spitzhacke zum Opfer, und nach kurzer Zeit begann auf dem großen Terrain das Kaufhaus des Westens zu erstehen. Von diesem Zeitpunkt ab datiert die Umwandlung der ganzen Gegend, die mit Riesenschritten vor sich ging. Ein Frühsommernachmittag. Es ist dunkel geworden und, vom Bahnhof Zoologischer Garten kommend, oben noch hinter der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, schreiten wir über den Auguste-Viktoria-Platz auf den Mittelpromenadenweg der breiten Tauenzienstraße. Lichtfülle strömt uns entgegen. Rechts und links ein Schaufenster am anderen, belagert von männlicher und weiblicher Eleganz. Ein geputzter Menschenstrom zieht die Straße entlang, lachend und flirtend, lebensfroh, zeithabend, Spaziergänger, Müßige. Weiter oben am Wittenbergplatz märchenhafte Lichtfülle, glitzernde Kostbarkeiten, Seidenstoffe, Goldbrokate, Bronzen, Straußenfedern, die Schaufenster gleich Schmuckkästen; das neue Kaufhaus. Dicht und unaufhörlich strömt man hinein, der Herrscher ruft – sie folgen gern.

Die neue Leipzigerstraße möchte ich die Tauenzienstraße nennen. Die Leipzigerstraße der Flaneure. Weiter oben im alten Westen, am Potsdamerplatz, beherrscht von Wertheim, Tietz und Jandorf, die Leipzigerstraße der Arbeit. Dort eilender, hastiger Menschenstrom, nur wenig untermischt mit Müßiggängern, hier an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche – Genießer, Jugend, Berlin WW.

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