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Theodor Barth über die Notwendigkeit einer linksliberalen Opposition zu Bismarck (26. Juni 1886)

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Oppositionsstellung eingerückt sind. Sieht man ab von der auswärtigen Politik, die zur Zeit in Deutschland einer ernsthaften öffentlichen Diskussion tatsächlich entzogen ist, betreffs deren die Skepsis daher einen mehr privaten Charakter trägt, so gibt es heute wohl keine einzige politische Frage von Bedeutung, bei der sich eine innere Übereinstimmung der freisinnigen Partei mit dem Fürsten Bismarck konstatieren läßt. Die Gegnerschaft der Freisinnigen charakterisiert sich damit im eigentlichen Sinne des Wortes als eine prinzipielle Opposition, als eine Opposition, die nicht bloß gegen einzelne Maßregeln des leitenden Staatsmannes, sondern gegen wesentliche Zielpunkte und die Methode seiner Politik gerichtet ist.

In wahrhaft konstitutionellen Staaten ist eine derartige prinzipielle Opposition die einzig zulässige. Wer nicht durch eine erhebliche Verschiedenheit der politischen Grundsätze von der Regierung getrennt ist, der unterstützt dieselbe ohne weiteres. In Deutschland wehren sich die Politiker im allgemeinen ernstlich gegen den Verdacht, einer bloßen Regierungspartei oder einer ausgesprochenen Oppositionspartei anzugehören. Man läuft jenem schnurrigen Ideal einer sogenannten ›rein sachlichen Behandlung‹ politischer Vorlagen nach, bei welcher Methode die Regierung stets möglichst lange darüber im Unklaren bleibt, ob sie bei einer Vorlage auf eine Annahme ihrer Vorschläge zu rechnen hat. Die Regierung andererseits glaubt sich wohl gar etwas zu vergeben, wollte sie bei der Ausarbeitung ihrer Vorlagen sich um das parlamentarische Schicksal derselben bekümmern. Schlimmstenfalls bekommt man eben seine ›Quittung‹ und hat dann als Staatsmann das beruhigende Gefühl, seine Schuldigkeit getan zu haben. So sehen wir denn in jeder Parlamentssession das merkwürdige Schauspiel, daß Fürst Bismarck bei wichtigen und manchmal auch bei nebensächlichen Vorlagen nicht bloß von der Opposition bekämpft, sondern auch nicht selten von seinen eifrigsten Bewunderern verlassen wird. Bei der jetzigen Branntweinsteuervorlage hat sich bekanntlich auch nicht einmal eine einzige Stimme im ganzen Reichstag für das Prinzip des Regierungsentwurfs, geschweige denn für den Entwurf im ganzen, erhoben.

Ein solcher Zustand ist für die Regierung wie für die Volksvertretung in gleicher Weise demoralisierend.

Ein Parlament, besonders ein solches, welches auf Grund des allgemeinen direkten Wahlrechts besteht, ist keine politische Jury, die von Fall zu Fall in immer anderer Gruppierung ihr Verdikt abgeben kann, sondern ein Machtfaktor, der nur durch Berücksichtigung der in ihm zur Herrschaft gelangten Anschauungen gewonnen werden kann. Der Umstand, daß man diese Wahrheit, die schlechterdings nicht aus der Welt zu bringen ist, hartnäckig zu ignorieren versucht, trägt nicht am wenigsten zu der unerquicklichen Lage der politischen Verhältnisse im Reich bei.

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