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Eugen Richter über den deutschen Adel (1898)

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In der preußischen Reaktionszeit der fünfziger Jahre aber ist das Streben dahin gegangen, allerlei Adelsprivilegien im Widerspruch mit dem Wortlaut der Verfassung, jedenfalls mit ihrem Sinn, wieder aufleben zu machen. Bei Schaffung des Herrenhauses wurde Grafenverbänden und altadligen Familienverbänden ein besonderes Präsentationsrecht verliehen.

Im Johanniterorden, ursprünglich nur zum Gedächtnis an die frühere Balley Brandenburg gestiftet, suchte König Friedrich Wilhelm IV. eine besondere adlige Korporation zu schaffen und derselben eine über andere Ordensklassen hervorragende Bedeutung zu verleihen. Das Johanniterkreuz zu tragen, setzt alten Adel und einen gewissen Geldbeitrag voraus. Der Jahresbeitrag der Ritter für christliche Liebeswerke beträgt nur 36 Mark, und das Eintrittsgeld [S.10] von 300 bezw. 900 berechtigt zum Empfange stolzer und glänzender Insignien. Aus solchen Beiträgen sind eine Anzahl kleiner Spitäler mit einigen Hundert Betten im Laufe der Jahre gegründet worden.

Kaiser Wilhelm II. sprach unmittelbar nach seiner Thronbesteigung am 23. August 1888 bei der Teilnahme an einem Kapitel des Johanniterordens in Sonnenburg in einer Rede zum Festmahl: "Zur Hebung und moralischen, sowie religiösen Kräftigung und Entwicklung des Volkes brauche ich die Unterstützung der Edelsten desselben, Meines Adels, und die sehe ich im Orden Sankt Johannis in stattlicher Zahl vereint."

Eine thatsächliche Zurücksetzung des Bürgertums im höheren Verwaltungsdienst wird in einem Artikel der freikonservativen "Post" vom 24. Mai 1897 ausdrücklich zugegeben, als Grund für die Verstimmung weiter Kreise. In dieser Auslassung wird die Ueberhebung der Verwaltung gegenüber der Justiz beklagt und ausgeführt:

Man bringt dies mit der weiteren Ausstellung in Verbindung, daß sowohl bei der
Uebernahme in den Verwaltungsdienst wie bei dem Aufrücken in demselben
bestimmte soziale Schichten, namentlich der Adel und der Großbesitz der
östlichen Provinzen, bevorzugt und mehr Wert auf Familienbeziehungen,
äußeres Auftreten und Schneidigkeit, als auf wissenschaftliche und praktische
Tüchtigkeit gelegt werde. Auch hierbei hat man wohl vielfach mit Uebertreibung
und Verallgemeinerung von Einzelerscheinungen zu thun. Aber völlig
ungerechtfertigt erscheint die Kritik nicht. [ . . . ] Angehörige angesehener
Familien, namentlich des Bezirks, besonders zu berücksichtigen, liegt die
Versuchung gleichfalls nahe. Korps und sonstige Beziehungen ähnlicher Art
kommen hinzu, so daß in der That der Nachwuchs unserer Beamten der
allgemeinen Landesverwaltung vielfach exklusiver und einseitiger geworden ist,
als dies im allgemeinen Interesse und im Interesse der Verwaltung selbst liegt.
Auch gewinnt es den Anschein, daß für die Besetzung namentlich der
sogenannten politischen, zugleich mit Repräsentation verbundenen
Verwaltungsstellen der Adel wenigstens keinen Nachteil erleidet.

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