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Landarbeit in Schleswig-Holstein (1911)

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Der Arbeitstag beginnt zwischen 3 und 4½ Uhr. Der Wasserträger sucht dann einen jeden an der Stelle des Heubodens auf, wohin er ihm am Abend heimgeleuchtet hat, und rüttelt ihn wach. Der geweckte Mitarbeiter wischt sich Haar und Heu aus dem Gesicht, womit seine Morgentoilette beendet ist. Fürs Waschen ist er nicht; angeblich bekommt er davon spröde Haut. Nachdem er dann erstmal ein oder zwei große Schnäpse heruntergeschüttet hat, geht er mit nüchternem Magen an die Arbeit, bis es um fünf oder sechs Uhr den Morgenkaffee gibt. Alle zwei Stunden gibt es „gegen den Staub" einen „Wachtmeister", den der Landwirt liefern muß, will er die Arbeiter halten. Dabei sind für die Runde etwa zwei Weinflaschen voll Kümmel nötig.

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Der Sonntag ist die Klippe dieser Leute, er bringt sie aus Rand und Band. Sie können kein Geld in Händen haben und kommen nicht eher ins Gleichgewicht, als bis völlige Mittellosigkeit sie wieder an die Maschine treibt, während sie in der Mitte der Woche die besten Arbeiter sind und sich willig leiten lassen wie große Kinder.

So reiht sich Woche an Woche. Der Lohn wird bis Montag früh verjubelt. Wenn dabei auch Bäche von Kümmel fließen, so ist es doch ein dunkler Punkt, wo das viele Geld eigentlich bleibt. Häufig genug mag freilich eine solenne Weinkneipe stattfinden. Auch sind sie im Spendieren sehr freigebig.

In den letzten Wochen der Dreschsaison nehmen die Arbeiter Anläufe zum Sparen, indem sie bei dem Maschinenmeister, zuweilen von diesem ermuntert, einen Teil ihres Verdienstes stehen lassen. Denn im Grunde wollen die meisten sparen, aber alle verlassen unsere Gegend ebenso bettelarm, wie sie hergekommen sind. Die Verlockung und Verleitung sind im Kreise der Kollegen so groß, daß sie einfach nicht widerstehen können. Es kommt häufig genug vor, daß sie 60 Mark haben anstehen lassen, und doch wurde am Schluß fast alles durchgebracht und das wenigste für Winterkleidung angelegt. Dabei ist die Kleidung meist erbärmlich. Mancher geht ohne Hemd auf dem Leibe in den Winter hinein, ja, es sind Fälle vorgekommen, wo fremde, vielleicht von weiter hergereiste Arbeiter sich an die 200 Mark aufgespart hatten und sich bis an den Schluß wacker hielten, und dann packte sie doch noch die Verführung.


Quelle: P[astor] Schlee-Heide, „Wohlfahrtspflege für Drescharbeiter“, in Schleswig-Holsteinisches Kirchenblatt, Lunden, 12, Nr. 23 (4. Juni 1911), S. 221-23.

Abgedruckt in Jens Flemming, Klaus Saul und Peter-Christian Witt, Hg., Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen, 1871-1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, S. 135-37.

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