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II. Der NS-Staat
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Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Überlegungen und Strategien, um das ungeklärte Verhältnis zwischen dem von den Nazis kontrollierten Staatsapparat und der NSDAP festzulegen, bestanden bereits vor der Beseitigung Röhms. Schon am 1. Dezember 1933 hatten Hitler und sein Kabinett das „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ erlassen, dessen erster Paragraph lautet: „Nach dem Sieg der nationalsozialistischen Revolution ist die nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei die Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staate unlöslich verbunden.“ Nach der Verabschiedung dieses Gesetzes ernannte Hitler eine Reihe hochrangiger Parteifunktionäre (wie Rudolf Hess) und SA-Funktionäre zu Regierungsmitgliedern und bestärkte damit die generelle Aussage, dass die Partei und ihre Unterorganisationen im Zentrum des neuen Systems standen. Letztlich blieb das Gesetz jedoch im Hinblick auf die tatsächlichen Funktionen von Parteifunktionären und -mitgliedern unklar. Außerdem war es so vage formuliert, dass ihm tatsächlich keine bindende Regelung des Verhältnisses von Partei und Staat zu entnehmen war.

Bei einer Sitzung der Gauleiter am 2. Februar 1934 forderte Hitler von der Partei die Unterstützung der Regierung „in jeder Art und Weise“. Zahlreiche Parteifunktionäre mit guten Verbindungen waren bereits in Regierungsposten aufgestiegen, doch gab es zahlreiche weitere „Alte Kämpfer“, die mit dem Ausmaß der Revolution oder ihrem Anteil an deren Beute noch immer unzufrieden waren. Hitler betonte die Notwendigkeit der Einigkeit innerhalb der Partei auf der Grundlage des „Führerprinzips“ und gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass nur eine vereinte Partei eine vereinte Nation schaffen könne. Sein Aufruf zur Einheit entsprang jedoch zumindest teilweise seiner Sorge angesichts parteiinterner Gruppenbildung, wie die SA sie verkörperte.

Während der gesamten Dauer des Dritten Reiches blieb das Stiften eines Gemeinschaftssinns in der Mehrheit der Bevölkerung ein zentrales Anliegen der NSDAP, die auf dem Gipfel ihrer Macht ungefähr zehn Prozent der Deutschen zu ihren Mitgliedern zählte (6). Nach 1933 genossen Hitler und das Regime insgesamt breite Unterstützung, da die Arbeitslosigkeit zurückging und Deutschlands militärische und diplomatische Stärke wuchs. Erst wesentlich später führten die Belastungen eines in die Länge gezogenen, totalen Krieges zu ernsthaften Moralproblemen. Am 29. September 1943 erließ der Chef der Parteikanzlei Martin Bormann (1900-1945) eine Anordnung, die erläuterte, wie die NSDAP-Führung die Parteiorganisation nutzen wollte, um die Negativität in der leidenden Bevölkerung zu bekämpfen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Anziehungskraft der Parteimitgliedschaft jedoch in direktem Verhältnis zu den militärischen Niederlagen Deutschlands abgenommen. Die Parteiorganisation war selbst der sinkenden Moral zum Opfer gefallen.



(6) Eine gute Analyse der Parteimitgliedschaft der NSDAP bietet Michael H. Kater, The Nazi Party: A Social Profile of Members and Leaders, 1919-1945, Cambridge: Harvard University Press, 1983.

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