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6. Geschlecht, Familie, und Generationen
Druckfassung

1. Staat und Regierung   |   1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?   |   1.B. Autoritäre Herrschaft oder Verfassungsstaat?   |   1.C. Emanzipation der Juden   |   2. Parteien und Organisationen   |   3. Militär und Krieg   |   4. Wirtschaft und Arbeit   |   5. Natur und Umwelt   |   6. Geschlecht, Familie, und Generationen   |   7. Regionen, Städte, Landschaften   |   8. Religion   |   9. Literatur, Kunst, Musik   |   10. Die Kultur der Eliten und des Volkes   |   11. Wissenschaft und Bildung

Bestimmende und weithin akzeptierte Vorstellungen der Zeit zu Familie und Geschlecht finden sich in zwei Artikeln des Staats-Lexikons. Im ersten Artikel über „Familie, Familienrecht“ unterstrich der Autor, dass die Ehe die moralische und rechtliche Grundlage der Familie darstelle. Die Ehe sei eine auf gegenseitige Liebe und Zuneigung gegründete Verbindung zweier Menschen zu einer vereinten Person unter der Kontrolle des Ehemanns. Die Ehe sei außerdem eine Gütergemeinschaft, in der zwar wiederum der Ehemann über den Familienbesitz das Sagen habe, innerhalb derer jedoch auch die Ehefrau bestimmte Rechte über ihr Eigentum behalte. Schließlich seien Familien hierarchisch aufgebaut: Die Eltern hätten Gewalt über ihre minderjährigen Kinder, und der Haushaltsvorstand über die Angestellten, die als Mitglieder der Familie angesehen wurden.

Der zweite Artikel über „Geschlechterverhältnisse“ beschäftigt sich mit den vermeintlichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen und den daraus folgenden politischen Konsequenzen. Der Autor behauptete, dass Mann und Frau von Natur aus unterschiedlich seien und bezog damit einen in seiner Zeit allgemein vertretenen Standpunkt. Erstere seien aktiv, energisch, rational, und ihr Leben orientiere sich hauptsächlich nach außen; letztere seien passiv, anpassungswillig und emotional, und ihr Leben orientiere sich nach innen auf die Familie und den Haushalt. Der Autor zog hieraus den Schluss, dass nur Männer das Recht haben sollten, aktiv in der Politik mitzuwirken. Die Auffassungen der Konservativen, dass arme Männer genauso wenig Rechte wie Frauen haben sollten, lehnte er ebenso ab wie die Vorstellung von Frauenrechtlerinnen, denen zufolge Frauen die gleichen politischen Rechte wie Männer erhalten sollten. Zugleich war der Autor aber auch der Meinung, dass Frauen in gewissem Umfang ebenfalls am öffentlichen Leben teilhaben sollten: Von ihren weiblichen Qualitäten wie Einfühlungsvermögen und Fürsorglichkeit sollten sie dadurch Gebrauch machen, dass sie Vereine gründeten, Petitionen an die Regierung stellten und als Zuschauerinnen an Versammlungen der parlamentarischen Gremien teilnahmen.

Man kann sich fragen, inwiefern diese Vorstellungen über Familie und Geschlechter der damaligen Realität entsprachen. Der konservative Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl hatte offenbar seine Zweifel: Er bemerkte, dass das Ideal getrennter Lebensbereiche – die Männer bei der Arbeit im öffentlichen Raum, die Frauen zu Hause im Rahmen der Familie – in erster Linie auf die gehobenen Schichten zutreffe, während sich in den unteren sozialen Schichten die alltäglichen Beschäftigungen von Mann und Frau viel mehr überschnitten.

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