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2. Parteien und Organisationen
Druckfassung

1. Staat und Regierung   |   1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?   |   1.B. Autoritäre Herrschaft oder Verfassungsstaat?   |   1.C. Emanzipation der Juden   |   2. Parteien und Organisationen   |   3. Militär und Krieg   |   4. Wirtschaft und Arbeit   |   5. Natur und Umwelt   |   6. Geschlecht, Familie, und Generationen   |   7. Regionen, Städte, Landschaften   |   8. Religion   |   9. Literatur, Kunst, Musik   |   10. Die Kultur der Eliten und des Volkes   |   11. Wissenschaft und Bildung

In den ersten beiden Dritteln des 19. Jahrhunderts nahmen die Deutschen die Existenz politischer Parteien zwar wahr, betrachteten sie jedoch mit gemischten Gefühlen. Diese Ambivalenz wird in dem ersten Dokument dieses Abschnitts, dem Eintrag „Parteien“ aus dem Staats-Lexikon, deutlich. Zu Beginn setzt sich sein Autor mit den Theorien des Journalisten Friedrich Rohmer auseinander, der feststellte, dass seine Zeitgenossen in den 1840er Jahren die Parteienlandschaft in ein Links-Rechts-Spektrum aufteilten und als Beleg dafür die Radikalen, die Liberalen, die Gemäßigten (oder „juste milieu“, wie er sie mit Bezug auf die Gemäßigten in Frankreich nannte) und die Konservativen anführte. Der Autor des Lexikonartikels lehnt diese Unterscheidung jedoch im Grunde ab und bevorzugt zur Beschreibung von Politik die folgenden zwei Kategorien: besonderes Einzelinteresse und allgemeines oder öffentliches Interesse. Die einzig legitimen Parteien sind ihm zufolge diejenigen, die das öffentliche Interesse vertreten; andere Parteien oder jene, die besondere Einzelinteressen vertreten, entbehren jeglicher Legitimität. Der Autor dieses Auszugs sympathisiert mit dem linken politischen Flügel, aber der Verdacht, die politischen Parteien würden eher illegitime Einzelinteressen als das allgemeine öffentliche Interesse vertreten, war unter Deutschen mit den verschiedensten politischen Ansichten weit verbreitet.

Bei der Betrachtung der einzelnen Parteien oder, vielleicht präziser, der politischen Tendenzen, kann man auf der Rechten mit den Konservativen beginnen. Die Rede „Was ist die Revolution?“, die der konservative Politiktheoretiker und Professor für Rechtswissenschaft an der Berliner Universität, Friedrich Julius Stahl, 1852 hielt, zeigt, wogegen sich die Konservativen wandten, und lässt im Umkehrschluss erkennen, wofür sie politisch eintraten. Anhand dieser Rede wird sowohl deutlich, welche entscheidende Rolle die Ablehnung der Ideen und Forderungen der Französischen Revolution von 1789 für die deutschen Konservativen spielte, als auch, wie groß der Einfluss der christlichen Religion auf konservative Prinzipien war. Ebenso von Bedeutung ist Stahls scharfe Ablehnung des Nationalismus als einer Form von Götzendienst. Da im späteren 19. sowie im 20. Jahrhundert Nationalismus oft eng mit konservativer Politik in Verbindung stand, ist es immer wieder erstaunlich, festzustellen, dass deutsche (und andere europäische) Konservative in den ersten beiden Dritteln des 19. Jahrhunderts entschiedene Gegner des Nationalismus waren. Als Otto von Bismarck, der durch und durch konservative preußische Ministerpräsident, sich 1866 anschickte, Teile des politischen Programms der Nationalisten umzusetzen, waren Konservative in ganz Deutschland entsetzt und fassten das als Verrat ihrer politischen Grundsätze auf.

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