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1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?
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1. Staat und Regierung   |   1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?   |   1.B. Autoritäre Herrschaft oder Verfassungsstaat?   |   1.C. Emanzipation der Juden   |   2. Parteien und Organisationen   |   3. Militär und Krieg   |   4. Wirtschaft und Arbeit   |   5. Natur und Umwelt   |   6. Geschlecht, Familie, und Generationen   |   7. Regionen, Städte, Landschaften   |   8. Religion   |   9. Literatur, Kunst, Musik   |   10. Die Kultur der Eliten und des Volkes   |   11. Wissenschaft und Bildung

Nach der Zerstörung des alten Heiligen Römischen Reiches durch die Armeen der Ersten Französischen Republik und Napoleons zwischen 1793 und 1806 wurde die staatliche Neuordnung Mitteleuropas zu einer politischen und diplomatischen Frage ersten Ranges. Die internationale Friedenskonferenz von 1814/15 zur Beendigung der napoleonischen Kriege, der berühmte Wiener Kongress, schuf dafür eine eigene Lösung in Gestalt des Deutschen Bundes, einer Vereinigung unabhängiger und souveräner deutscher Staaten. Obwohl der Deutsche Bund ganze 51 Jahre bestand – und damit bis zum Ende des 20. Jahrhundert als langlebigste Staatsform in Mitteleuropa gelten konnte, bis die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2000 ihr 51-jähriges Bestehen beging – blieb er doch eine äußerst umstrittene Institution. Insbesondere wurden immer wieder Stimmen laut, die sich für seine Umwandlung in oder seine Ersetzung durch einen einzigen, vereinigten deutschen Nationalstaat aussprachen. Bei der Wahl zwischen Staatenbund und Nationalstaat ging es natürlich um die Vorstellung der Nationalbewegung, dass eine Nation nur eine Regierung haben solle. Wie jedoch die folgenden Textquellen zeigen, ging es dabei auch um die Stellung der deutschen Länder in Europa und um Ziel und Zweck von Staat und Regierung in Deutschland.

Die erste Gruppe von Textquellen enthält Auszüge aus der Deutschen Bundesakte von 1815, der Gründungsurkunde des Deutschen Bundes, aus der Wiener Schlußakte von 1820, die dieses Ausgangsdokument ergänzte, sowie drei der wichtigeren Entscheidungen des Bundes: das Bundes-Preßgesetz von 1819, sowie die „Sechs Artikel“ und die „Zehn Artikel“ vom Juni/Juli 1832. Alle diese Dokumente machten den Bund zu einer Vereinigung souveräner Staaten, die sowohl voneinander als auch von den anderen europäischen Mächten unabhängig waren. Gleichzeitig legten sie jedoch verbindliche Regeln für die souveränen Einzelstaaten fest, indem sie ihnen beispielsweise vorschrieben, Katholiken und Protestanten gleich zu behandeln, politische Repräsentativgremien in irgendeiner Form einzurichten, aber auch, die Pressefreiheit und politische Betätigung zu unterdrücken.

Die Opposition der Nationalbewegung gegen den Deutschen Bund belegen die folgenden drei Dokumente. Der Historiker, Schriftsteller und Journalist Ernst Moritz Arndt (1769-1860) war einer der führenden Gegner der napoleonischen Herrschaft in Deutschland und einer der ersten Intellektuellen, die den modernen deutschen Nationalismus in Worte fassten. Sein Gedicht „Des Deutschen Vaterland“ von 1813 wurde nach der Niederlage der napoleonischen Truppen und dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft in Mitteleuropa geschrieben; es sollte bald vertont und im 19. Jahrhundert unzählige Male in der deutschen Nationalbewegung gesungen werden. In dem Gedicht wird ein ganz anderes Regierungsprinzip für Deutschland entworfen als dasjenige, das zur Zeit seiner Entstehung von den Diplomaten in Wien beschlossen wurde. Bemerkenswert ist die Art und Weise, mit der Arndt Sprache und Kultur als Grundlagen eines deutschen Nationalstaates definiert, bemerkenswert aber auch, wie er den Hass auf die Franzosen als eine weitere Basis dieses Nationalstaates einführt. Arndt verurteilte jene deutschen Fürsten, die mit Napoleon kollaboriert hatten und deren Herrschaft nun durch den Deutschen Bund garantiert wurde.

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