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3. Probleme der sozialen Marktwirtschaft
Druckfassung

Überblick   |   1. Die Vertiefung der Teilung   |   2. Der Konflikt zwischen Demokratie und Dikatur   |   3. Probleme der sozialen Marktwirtschaft   |   4. Umgang mit sozialen Konflikten   |   5. Verunsicherungen der Moderne   |   6. Erfolg im Westen – Scheitern im Osten

Im Westen hatte das „Wirtschaftswunder“ der fünfziger Jahre auf dem stetigen Nachschub von meist deutschen Arbeitskräften beruht, die aus dem Osten kamen. Nachdem der Bau der Mauer diesen Zustrom hatte versiegen lassen, begann die Bundesrepublik, ausländische Arbeiter anzuwerben, um Frauen aus dem Arbeitsmarkt heraus- und traditionelle Rollenbilder aufrechtzuerhalten. Weil man davon ausging, dass diese Einwanderer nur eine begrenzte Zeit blieben, wurden sie euphemistisch „Gastarbeiter“ genannt. Die Aussicht auf zeitlich befristete Arbeitsverträge brachte mehrere Millionen Italiener, Spanier, Jugoslawen und schließlich auch Türken in die Bundesrepublik, um die schweren und unangenehmen Aufgaben zu übernehmen, die die einheimischen Arbeiter ablehnten. Viele Gastarbeiter kehrten zwar nach Hause zurück, andere ließen jedoch ihre Familien nachkommen und machten Westdeutschland dadurch unbeabsichtigt zu einem Einwanderungsland. Mit dem Ende des Wirtschaftsaufschwungs und der Zunahme der Arbeitslosigkeit verbreiteten sich fremdenfeindliche Einstellungen; während der 1980er Jahre blieben Einwanderung und Integration ungelöste Probleme (18). Später warb auch Ostdeutschland ausländische Arbeitskräfte an, größtenteils aus Entwicklungsländern wie Vietnam, aber ihre Zahl blieb immer streng begrenzt und ihr Einfluss auf Gesellschaft und Wirtschaft war marginal.

Die Ölkrisen der siebziger Jahre beendeten die lange Wachstumsphase. Schon Mitte der 1960er Jahre hatte die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums einen Einschnitt in die „soziale Marktwirtschaft“ nötig gemacht, aber die von Wirtschaftsminister Karl Schiller koordinierte „konzertierte Aktion“, die in von der Regierung geschaffene Investitionsanreizen und der Vermeidung von Arbeitskämpfen bestand, brachte das Wachstum wieder in Schwung. Mit den freigiebigen öffentlichen Ausgaben und den Lohnerhöhungen im zweistelligen Bereich der frühen siebziger Jahre war es schlagartig zu Ende, als die Gemeinschaft der Öl produzierenden Staaten (OPEC) im Jahre 1973 den Rohölpreis mehr als zehn Mal hintereinander anhob. Das Ergebnis war eine jähe Rezession. Kanzler Helmut Schmidt, ein kluger Wirtschaftsfachmann, hielt den Ausbau des Sozialstaates an und stoppte die Lohnerhöhungen. Obwohl es durch eine keynesianische antizyklische Politik im Bereich der öffentlichen Ausgaben gelang, ein bescheidenes Wachstum anzukurbeln, hatte die zweite Ölpreissteigerung des Jahres 1979 eine anhaltende strukturelle Arbeitslosigkeit zur Folge. Die unter Weltmarktniveau liegenden sowjetischen Energiepreise sicherten zunächst das Überleben der DDR, aber Kürzungen der sowjetischen Öllieferungen und Preissteigerungen stellten die Grundlage der ostdeutschen Exporte von veredelten Derivaten in Frage (19).

Einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Sackgasse bot für Westdeutschland die Europäische Integration, denn man nahm an, dass die Ausweitung des heimischen Marktes größere Absatzmärkte eröffnen würde. Die Aufhebung der Binnenzölle in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in den sechziger Jahren brachte einen Aufschwung für die deutsche Industrie, deren Handel mit Frankreich, Italien und den Benelux-Ländern anstieg. Die Vorstellung des französischen Präsidenten Charles de Gaulle von einem „Europa der Vaterländer“ blockierte jedoch den Integrationsforschritt, und sein Veto verzögerte den Beitritt Großbritanniens, Irlands und Dänemarks bis 1973. In den achtziger Jahren dehnte sich die umbenannte Europäische Gemeinschaft in den Mittelmeerraum aus und stabilisierte damit die post-diktatorischen Demokratien in Spanien, Portugal und Griechenland. Die Freundschaft zwischen dem französischen Präsidenten Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt ermöglichte auch, die nachteiligen Auswirkungen der Kursspekulation durch die Schaffung eines Europäischen Währungssystems im Jahre 1978 erfolgreich aufzufangen. Aber erst in den 1980er Jahren gewann die Integration mit der Einheitlichen Europäischen Akte wieder an Schwung. Im Unterschied hierzu war der Nutzen, den die DDR vom Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) hatte, viel geringer, da der Handel zwischen seinen Mitgliedern weniger umfangreich war und die Beziehungen unter ihnen auf sowjetischer Dominanz beruhten (20).



(18) Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge (München, 2001); Klaus Bade, Migration in European History (Malden, MA, 2003).
(19) Anthony Nichols, Freedom With Responsibility: The Social Market Economy in Germany, 1918-1963 (Oxford, 1994); Steiner, Von Plan zu Plan, S. 123 ff.
(20) Gerold Ambrosius, Wirtschaftsraum Europa. Das Ende der Nationalökonomien (Frankfurt am Main, 1996); John Gillingham, European Integration, 1953-2003: Superstate or New Market Economy? (London, 2003).

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