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2. Wirtschaft und Politik in den beiden deutschen Staaten
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Überblick   |   1. Die Lage im Jahre 1945   |   2. Wirtschaft und Politik in den beiden deutschen Staaten   |   3. Die Rekonstituierung der deutschen Gesellschaft   |   4. Kultur   |   Empfehlungen zur weiterführenden deutschen Literatur   |   Empfehlungen zur weiterführenden englischen Literatur

Mit der Errichtung des Eisernen Vorhangs begannen die Sowjets einerseits und die Westmächte andererseits ihre Besatzungszonen nach den jeweils eigenen Prinzipien von Wirtschaft und Politik zu organisieren. Gleichzeitig förderten sie die Errichtung zweier unterschiedlicher Verfassungsordnungen. In Westdeutschland wurde eine liberale Demokratie im Grundgesetz festgeschrieben, das vom Bundestag in Bonn, der neuen westdeutschen Hauptstadt, 1949 ratifiziert wurde. Im selben Jahr verkündete eine von den Sowjets eingesetzte kommunistische Regierung eine Verfassung, die auf dem Papier zwar dem Grundgesetz ähnlich war; doch wurde diese Verfassung durch die polizeistaatlichen Methoden des von dem Vorsitzenden der Sozialistischen Einheitspartei (SED), Walter Ulbricht, angeführten Regimes fortwährend verletzt.

Auf wirtschaftlichem Gebiet zeigte die westliche Stabilisierungspolitik, die mit Hilfe der Westalliierten und materieller Unterstützung der Amerikaner in Angriff genommen worden war, 1948 mit der Währungsreform erste Erfolge. Durch die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien und des kapitalistischen Wettbewerbs wurde das latente Potenzial der westdeutschen Industrie entfesselt. Es entfaltete sich das sogenannte „Wirtschaftswunder” der fünfziger Jahre unter der Führung von Ludwig Erhard, der in der frisch gewählten Regierung mit dem Christdemokraten Konrad Adenauer als Kanzler das Wirtschaftsministerium übernahm. Seine Politik kurbelte die Produktion weiter an, schaffte Arbeitsplätze und versorgte die Bevölkerung mit Konsumgütern, von denen sie seit Jahren geträumt hatte. Trotz Erhards Liberalismus war dies jedoch keine Wirtschaft, die sich ausschließlich auf die Dynamik der Marktkräfte verließ. Die Bundesrepublik verfügte zudem über ein soziales Netz, das für die Millionen von Kriegswitwen, Waisen, ehemaligen Soldaten, Flüchtlingen und anderen, die viel oder alles verloren hatten, Unterstützung bot.

Ein Gesetz, das aufgrund von Artikel 131 des Grundgesetzes eingeführt wurde, belebte die Pensions- und Anstellungsansprüche von Beamten und Berufssoldaten, die durch die Alliierten suspendiert worden waren. Die Ratifizierung des Lastenausgleichsgesetzes im Jahre 1951 beinhaltete den Versuch, Vermögen von denjenigen, die ihr Eigentum über den Krieg hinwegretten konnten, umzuverteilen auf Familien, die kriegsgeschädigt waren. Auch die Bemühungen um eine Wiedergutmachung für Familien, die von den Nazis enteignet und zur Flucht gezwungen worden waren, ist in diesem Zusammenhang zu sehen, so inadäquat die Zahlungen auch waren. Insgesamt bestand aber jetzt die Hoffnung, dass Vollbeschäftigung und „Wohlstand für alle” (Ludwig Erhard) auf längere Sicht auch die enormen sozialen Probleme lösen würden, die der Krieg hinterlassen hatte. Man ging davon aus, dass sich damit auch die wohlfahrtsstaatlichen Ausgaben stabilisieren würden, die jeden Bürger gegen Krankheit, Unfall und Arbeitslosigkeit und im Alter absicherten. Im Artikel 20 des Grundgesetzes war niedergelegt, dass die Gesamtgesellschaft unter der unabänderbaren Verpflichtung stand, die Bundesrepublik als „demokratischen und sozialen Bundesstaat” zu erhalten.

Hilfreich dabei, den sozialen Frieden wiederherzustellen und zu erhalten sowie ein allgemeines Anwachsen des Wohlstandes zu fördern, war außerdem die Tatsache, dass eine wachsende Anzahl der Westdeutschen nicht zu den Klassenkonflikten der zwanziger Jahre zurückkehren wollte. Selbst Gewerkschaftsmitglieder unterstützten einen reformistischen Trend, der sich auf eine Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen innerhalb der Rahmenbedingungen einer kapitalistischen Marktwirtschaft konzentrierte. Wenn die Streikneigung und -häufigkeit in den fünfziger Jahren daher gering waren, so hing dies auch mit einer besonderen Institution der Arbeitsbeziehungen, der Mitbestimmung, zusammen. In der Kohle- und Stahlindustrie ging diese sogar so weit, dass dort ein „Arbeitsdirektor” im Vorstand saß, der an allen Unternehmensentscheidungen gleichberechtigt beteiligt war. Zudem waren Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch im Aufsichtsrat unter einem neutralen Vorsitzenden vertreten. Das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 dehnte dieses System allerdings nicht auf die Großunternehmen aller Branchen aus, wie die Gewerkschaften es sich 1950/51 erhofft hatten. Doch als das Gesetz in seiner reduzierten Form schließlich in Kraft trat, waren darin zumindest einige Gewinne für die Arbeitnehmer enthalten. Die Belegschaft wählte ihren Betriebsrat, mit dem der Vorstand sodann gerade auch in Fragen von geplanten Entlassungen und Betriebsverlagerungen zur Zusammenarbeit verpflichtet war.



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