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XI. Propaganda und die Öffentlichkeit
Druckfassung

Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

NS-Funktionäre betrachteten Propaganda als ein positives und notwendiges Mittel, um Solidarität unter den „gesunden“ Teilen der deutschen Bevölkerung zu schaffen. Nach Goebbels' Vorstellung würde die Propaganda die Nation dahin führen, sich enthusiastisch gemeinsam hinter die „nationale Revolution“ zu stellen. Eine erfolgreiche Propaganda erforderte die Unterdrückung von Kritik sowie die Beseitigung von Informationen, die nicht mit den vorherrschenden ideologischen Ansichten konform gingen.

Zu Friedenszeiten bestand ein Nutzen der Propaganda darin, die Nation auf den Krieg vorzubereiten. Nachdem der Krieg begonnen hatte, diente die Propaganda nicht nur dazu, Hass auf den Gegner zu schüren (und Deutschlands militärische Gegner mit den Juden zu assoziieren), sondern auch zur Abhärtung der Nation gegen die Belastungen des Krieges. Hitler und Goebbels waren nämlich der Überzeugung, die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg sei nicht nur auf die Machenschaften der Marxisten und Juden zurückzuführen, sondern auch auf das Versagen der öffentlichen Moral.

Radios waren billig und in vielen deutschen Haushalten zu finden, und Radioansprachen stellten ein wirksames Mittel dar, um Propaganda zu verbreiten, besonders für begabte Redner wie Hitler und Goebbels. Doch Radios stellten auch ein Sicherheitsrisiko dar. Zwar hatte das NS-Regime lange vor Kriegsausbruch die völlige Kontrolle über die Inlandsmedien erlangt, doch ausländische Radiosender stellten noch immer eine Gefahr dar. Als Konsequenz dessen machte das Regime bei Kriegsausbruch das Hören ausländischer Radiosender strafbar und befugte die Gestapo dazu, Verstöße zu verfolgen. Die Parteizeitung Völkischer Beobachter versuchte, die von der Arbeiterschaft durch die Kriegswirtschaft erlittenen ökonomischen Härten herunterzuspielen; sie tat dies teilweise durch Verwendung sozialistischer Rhetorik und indem sie Großbritannien als Symbol des heruntergewirtschafteten Kapitalismus benutzte.

Die NS-Propaganda über die Sowjetunion erforderte natürlich einige gewandte Kursänderungen. Der jahrelange schrille Antibolschewismus verstummte, kurz bevor Deutschland und die Sowjetunion 1939 den Nichtangriffspakt schlossen. Dann, am 22. Juni 1941, dem Tag der deutschen Invasion der Sowjetunion, informierte Goebbels seine Untergebenen über eine radikale Änderung der Taktik: mit sofortiger Wirkung sollte die Berichterstattung nun die Kriegsrealität in ideologischen Begriffen interpretieren. Offensichtlich war er dennoch über die öffentliche Reaktion auf die Unbeständigkeit der NS-Propaganda besorgt.

Als die ramponierten Überreste der 6. Armee sich entgegen ihren Befehlen Anfang Februar 1943 in Stalingrad ergaben, mussten selbst NS-Ideologen eingestehen, dass der Krieg in eine schwierige Phase eingetreten war. Auf seiner Suche nach einer neuen Propagandastrategie, die Zugkraft gewinnen könnte, versuchte Goebbels, die militärischen Niederlagen zu nutzen, um erhöhte Opferbereitschaft zu fordern. Am 18. Februar 1943 hielt er eine übermäßig lange Rede im Berliner Sportpalast – sie wurde zu seiner berühmtesten. Er fragte, ob die Deutschen den „totalen Krieg“ wollten und benutzte einen inszenatorischen Kunstgriff, um zu zeigen, dass sie dies taten. Seine Bezugnahme auf britische Behauptungen verdient hier Beachtung – ein Zeichen dafür, dass eine erhebliche Zahl von Deutschen trotz des Verbots ausländischer Radiosender die Nachrichten der BBC hörte. Ein weiterer Grund der Hervorhebung Großbritanniens statt der Sowjetunion lag in den zunehmenden Schäden, die britische (und amerikanische) Bomber an deutschen wirtschaftlichen Zielen und Städten anrichteten. Auf einer Parteiveranstaltung am 5. Juni 1943 hielt Goebbels eine Rede, die öffentlich übertragen wurde; er versuchte darin ausdrücklich, das Leiden der deutschen Zivilbevölkerung in ein Sehnen nach Vergeltung umzuwandeln, von dem er hoffte, dass es sich in erhöhten Kriegsanstrengungen ausdrücken würde. Ein vom SD verfasster Stimmungsbericht lässt darauf schließen, dass die Propaganda der Opferbereitschaft und Rache nur in begrenztem Maß wirkte. Das Vertrauen der Bevölkerung in Hitler blieb hoch, doch dem restlichen Regime und den Medien wurde nicht länger vertraut und die Bevölkerung hatte begonnen, sich außerhalb Deutschlands nach verlässlicheren Informationsquellen umzusehen. Ende 1943 war der Unterschied zwischen Realität und Propaganda für viele Deutsche zu groß geworden, um ihn ignorieren zu können.

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