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VI. Militär, Außenpolitik und Krieg
Druckfassung

Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Die Pläne der Nazis für eine Rassengemeinschaft schlossen auch die Ausweitung ihres Lebensraumes ein. Wie der Historiker Gerhard L. Weinberg es kurz und bündig ausgedrückt hat, waren Hitlers zentrale Anliegen Rasse und Raum (26). Die Erweiterung des deutschen Lebensraumes konnte jedoch nur durch Krieg gänzlich erreicht werden. Die entscheidenden Fragen der nationalsozialistischen Militär- und Außenpolitik waren Ausmaß, Zeitplanung und Charakter dieses Krieges. Letztlich sollte Hitler über alle drei entscheiden.

In den ersten Jahren des NS-Regimes überschnitten sich die Ziele der Regierung Hitlers und des deutschen Militärs, sie waren jedoch nicht identisch. So wollten beide die Deutschland durch den Versailler Vertrag auferlegten Beschränkungen der militärischen Stärke beseitigen und die Fähigkeit zum erfolgreichen Einsatz von Waffengewalt wiederherstellen. Hitler hatte allerdings eine größere, ehrgeizigere Agenda. Seine Ziele, wie sie vage in Mein Kampf und deutlicher artikuliert in einem zweiten, unveröffentlichten Buch über Außenpolitik (27) beschrieben werden, umfassten nicht weniger als die deutsche Herrschaft über Europa sowie die Eroberung eines riesigen Reiches im Osten auf Kosten Polens und der Sowjetunion. Als das Offizierskorps der Armee erkannte, dass Hitlers außenpolitische Ziele die Rückkehr zu den deutschen Grenzen von 1914 weit überstiegen, war das Militär bereits nicht mehr in der Lage (oder willens), sich geschlossen gegen das Regime zu stellen.

Hitler warb vor und nach seiner Ernennung zum Reichskanzler bei hochrangigen Reichswehroffizieren um Unterstützung. Im November 1932 äußerte Oberst Walther von Reichenau (1884-1942), der Stabschef des Wehrkreiskommmandos I in Königsberg (in Ostpreußen, das vom Rest des Landes isoliert war) Besorgnis über die Gefahr eines polnischen Angriffs. In einem vom 4. Dezember 1932 datierten Brief an Reichenau stimmt Hitler mit ihm überein, dass ein polnischer oder polnisch-französischer Präventivkrieg gegen Deutschland eine reale Bedrohung darstelle. Gleichzeitig wollte er jedoch jeglichen militärischen oder diplomatischen Schritt vermeiden, der Deutschland in die Abhängigkeit von der Sowjetunion zwingen würde. Am 3. Februar 1933, vier Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler, nahm Hitler an einem Abendessen mit hochrangigen Militärs im Haus des Chefs der Heeresleitung Kurt von Hammerstein-Equord (1878-1943) teil. Dort legte er eine ehrgeizige innen- und außenpolitische Agenda vor und sprach etwas konkreter über die Eroberung zusätzlichen Lebensraums im Osten für die deutsche Bevölkerung. Hitlers Bemerkungen darüber, dass es für die Streitkräfte notwendig sei „unpolitisch und überparteilich“ sowie von der SA getrennt zu bleiben, mag die an diesem Abend versammelte Führungsriege beruhigt haben, doch mit der Zeit sollte schließlich klar werden, dass das Militär sich der weitreichenden Indoktrination, die Hitler im Auge hatte, nicht entziehen konnte. Am 30. Januar 1936 gab Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht Werner von Blomberg (1878-1946) einen Erlass zur politischen Bildung für Mitglieder der Wehrmacht heraus.



(26) Gerhard L. Weinberg, The Foreign Policy of Hitler’s Germany, vol. I, Diplomatic Revolution in Europe, 1933-1936. Chicago: University of Chicago, 1970.
(27) Gerhard L. Weinberg, Hg., Hitler’s Second Book: The Unpublished Sequel to Mein Kampf by Adolf Hitler. New York: Enigma, 2003 [dt.: Gerhard L. Weinberg, Hg. Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahre 1928. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1961; Neuausgabe: Gerhard L. Weinberg, Christian Hartmann, Klaus A. Lankheit, Hg., Außenpolitische Standortbestimmung nach der Reichtagswahl Juni- Juli 1928 (= Adolf Hitler, Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933, Band 2a), München: Saur, 1995].

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